Prof. Dr. Bernulf Kanitscheider:
Astrologie in wissenschaftstheoretischer Perspektive
(1991)
Dieser Beitrag und die folgende von Peter Niehenke verfaßte Erwiderung ist dem Buch von Gerald L. Eberlein (Hg): "Schulwissenschaft - Parawissenschaft - Pseudowissenschaft". (Edition Universitas. Stuttgart: S.Hirzel, Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft 1991) entnommen.
- Prof. Dr. Bernulf Kanitscheider, geb. 1939 in Hamburg. Promotion 1964 in Innsbruck über "Das Problem des Bewußtseins". 1970 Habilitation für Philosophie an der Universität Innsbruck mit dem Thema "Geometrie und Wirklichkeit". 1974 Berufung auf den neu errichteten Lehrstuhl für Philosophie und Naturwissenschaften an der Universität Gießen (Zentrum für Philosophie und Naturwissenschaften).
Die astronomische Gesellschaft als Vertretung der deutschen astronomischen Wissenschaft hat in ihrer Grundsatzerklärung von 1949 der Astrologie klar die Tür gewiesen. (*1) Die Physik kann sich eine solche erstweilig dogmatische Abgrenzung leisten. Aufgabe der Wissenschaftstheorie ist es, diese Ablehnung sorgfältig zu begründen.
Die methodologische Situation
Wissenschaftstheorie kann man auf mehrere Weisen betreiben. Normalerweise greift man sich eine hochrangige Theorie aus den etablierten Wissenschaften wie etwa Newtons Mechanik oder Maxwells Elektrodynamik heraus und studiert daran die einschlägigen Fragestellungen: Die Funktion theoretischer Terme, die Referenz der Begriffe, die erklärende Kraft der Gesetzesaussagen und vieles andere mehr. Statt dieses positiven Vorgehens kann man auch Wissenschaftstheorie lernen, indem man eine "Theorie" herausgreift, die nach dem einhelligen Urteil der Fachwissenschaftler nicht dem Kanon der etablierten Disziplinen angehört und begründet, warum diese Aktivität keinen Platz auf der Universität besitzt und rechtens keine öffentlichen Gelder in Anspruch nehmen kann.
Massive Kritik an der Astrologie hat es immer wieder gegeben (*2), der Wirkungsgrad dieser rationalen Widerlegungen auf die Anhänger ist jedoch relativ gering, weil, wie wir noch sehen werden, die Gefolgschaft einem menschlichen Bedürfnis entspricht, das nur in der anteilig kleinen Gruppe von Intellektuellen rational kompensiert wird. Die treibende Kraft hinter der Astrologie war immer eine lebenspraktische Motivation. Einerseits existierte der Wunsch, etwas über das eigene zukünftige Schicksal zu erfahren, dann wollte man sich als einen wichtigen Teil des Kosmos erkennen und nicht zuletzt war auch das Bestreben vorhanden, Verantwortlichkeit für soziale Situation und für persönliches Handeln loszuwerden. Genau in diesen Punkten mußte aber die Wissenschaft die Menschen enttäuschen: Komplexe Systeme wie Gesellschaften, so fand sie heraus, sind in ihrer zukünftigen Entwicklung nicht prognostizierbar (*3) und vermutlich sind solche Systeme auch nicht steuerbar (*4), die Rolle des Menschen im Kosmos ist verschwindend und das eigene Schicksal hängt wesentlich von der Eigenleistung und Bewältigung der privaten Probleme ab. Die Wissenschaft kann also die gewünschte Entlastung nicht liefern; so nimmt es nicht wunder, daß der einfache Mensch diese an anderer Stelle sucht. Der "einfache Mensch" ist ja von der Aufklärung durch die Naturwissenschaft nie wirklich erreicht worden. Naturwissenschaftliche Bildung stellt nach wie vor eine ganz dünne rationale Patina in der menschlichen Gesellschaft dar, die sich in ihrem Alltagshandeln kaum von Ergebnissen der Astronomie oder Astrophysik leiten läßt wie auch nicht von Resultaten anderer Disziplinen wie etwa Biologie und naturwissenschaftlicher Psychologie. Dennoch kann man für diejenigen, die es wissen wollen, die wissenschaftstheoretische Situation, in der sich die Astrologie angesichts des gegenwärtigen Standes der Astronomie befindet, schildern.
Natürlich wird das Ergebnis einer solchen Studie von den wissenschaftstheoretischen Kriterien abhängen. Aus dem Blickwinkel einer entsprechend weiten Wissenschaftsphilosophie, wie sie etwa Paul Feyerabend vertritt, wird die Astrologie natürlich viel positiver bewertet als etwa vom Standpunkt des Kritischen Rationalismus. Diese Relativität ist selbst-redend an dieser Stelle nicht zu beseitigen. Man kann nur ausdrücken, welche Bewertung sich ergibt, wenn man das heute am meisten befürwortete Standardmodell der Methodologie zugrundelegt. Es ist trivial, daß sich gar kein theoretischer Ansatz mehr kritisieren läßt, wenn man überhaupt keine methodischen Forderungen erhebt, sei es nach Intersubjektivität, Verständlichkeit, semantischer Stabilität, Kontrollierbarkeit, Wiederholbarkeit und dergleichen mehr. Hierhin gehört auch das Verfahren, sich nur auf statistische Methoden zu verlassen und die Analyse des Wirkungsmechanismus, der in einer Theorie verwendeten Agentien völlig außer Acht zu lassen, wie dies etwa Eysenck und Nias tun. (*5)
Die Herkunft
Man kann die Astrologie nur verstehen, wenn man ihre Historie offenlegt. Die Entstehung der Astrologie scheint zu verschiedener Zeit und unabhängig in den einzelnen Hochkulturen erfolgt zu sein. In China gehen die Hinweise auf astrologisches Wissen bis 2 400 v. Chr. zurück, aber auch die Mayas und Azteken besaßen um 800 n. Chr. ein astrologisches Deutungsschema. Die Motivation zur Entwicklung eines solchen sehen Anthropologen und Prähistoriker in der Notwendigkeit für die neolithische Gesellschaft Ordnungssysteme und Vorhersagemethoden zu entwickeln, die für die wachsenden Populationen von hoher Überlebenswichtigkeit waren. (*6) Ihrer geschichtlichen Herkunft nach ist die Astrologie also im Rahmen einer Sternreligion zu verstehen. In der mythischen Epoche der Menschheitsgeschichte, etwa bei den Chaldäern im alten Mesopotamien, betrachtete man die Gestirne als Götter mit personalem Willen und zielgerichteter Aktivität. Selbstredend war es für die Geschicke der Menschen entscheidend, den Willen der Unsterblichen zu erkennen, um über die Priester mögliche drohende Gefahr von dem Volk abzuwenden. Zu dieser Zeit konnten unter diesen Voraussetzungen Sterne und Menschen personal miteinander umgehen. Basis für Prognosen der Zukunft waren bei den babylonischen Priestern neben der Inspektion der Leber von Opfertieren durch den Haruspex die Hemerologie, d. h. das Lesen von Himmelszeichen. In Ägypten wurde die Traumdeutung für dieselbe Aufgabe eingesetzt. In jedem Fall geht der Deutungsakt des Interpreten konstitutiv in die Vorhersage ein.
Fatalistische Konsequenz der Astrologie
Bei den orientalischen Völkern gab es nur Prophezeiungen über das Schicksal des ganzen Landes. Beim Eindringen der Astrologie in die griechische Kultur, die sich in der rationalistischen klassischen Epoche noch zuerst ablehnend verhalten hatte, entstand in der hellenistischen Zeit das individuelle Geburtshoroskop. Philosophische Unterstützung fand die Astrologie durch die partiell fatalistische Ethik der Stoiker und deren Schicksalsglauben. Die bedeutendste griechische Kodifikation der Astrologie, heute noch das klassische kanonische Werk für viele Astrologen, war der Tetrabiblos des Claudius Ptolemaios (150 n. Chr.). Er sah bereits die Notwendigkeit ein, physikalische Mechanismen der Wirkungsübertragungen zu postulieren, um eine Erklärung für den schicksalssteuernden Einfluß der Sterne zu finden. Als Leitfaden und Vorbild für solche natürlichen Mechanismen sah er den unzweifelhaften Einfluß von Sonne, Mond und Planeten auf die Gezeiten und das Wetter an. In der griechischen Zeit realisierte man aber auch bereits den Konflikt einer fatalistischen Konsequenz der Astrologie mit dem menschlichen Handeln: Wenn die Sterne völlig starr das menschliche Schicksal führen, dann kann der Eindruck freier Entscheidung nur Täuschung bzw. Unwissen über die wirkenden Ursachen sein. Als ersten Ausweg dachte man an eine Abschwächung der Sternwirkung im Sinne von Prädispositionen oder Propensitäten für menschliche Handlungen. Aber in der römischen Zeit überwog wohl die fatalistische Deutung der Astrologie. Sie stieg zu dieser Zeit zu hoher politischer Bedeutung auf und steuerte so manche weittragende Entscheidung der Herrscher.
Sternbild und Tierkreiszeichen
Nach einer hohen Blüte im römischen Kaiserreich hatte die Astrologie in der christlichen Zeit abwechselnd mit Ablehnung und partieller Anerkennung zu rechnen. Ethische Bedenken bezüglich moralischer Verantwortung und die Gefahren der Vielgötterei waren geläufige Einwände. Dennoch konnte sich die christliche Theologie nie zu einer völligen Ablehnung durchringen, da ihre eigene Metaphysik auch nicht mit sehr harten empiristischen methodologischen Forderungen in Einklang stand. Bis heute ist die Einstellung der christlichen Theologie zur Astrologie gespalten. (*7) Ptolemaios' Ziel war es noch, die Astrologie in Übereinstimmung mit der Astronomie zu betreiben. Er vertrat die Auffassung, daß es eben zwei Arten von Voraussagen aufgrund der Stellungen der Himmelskörper gäbe. (*8) Demgegenüber entstanden in der Renaissance durch die neue heliozentrische Astronomie und durch die damit verbundenen drei Bewegungen der Erde (Eigenrotation, Revolution um die Sonne, Präzession der Drehachse) entscheidende Schwierigkeiten, die beiden Sternlehren in einem harmonischen Verhältnis zu betreiben; vor allem die dritte Bewegung, die die Stellung der Planeten zu den Sternen des Tierkreises verschiebt, zwang die Astrologie zur Unterscheidung von Sternbild und Tierkreiszeichen, eine Differenzierung, die eine kausale Deutung wesentlich erschwert.
In der Renaissance häuften sich auch die rationalistischen Angriffe gegen die Astrologie; so begann Pico della Mirandola mit seinen "Disputationes adversus astrologiam" statistische Kontrollmethoden auf astrologische Behauptungen, z. B. bei der Wettervorhersage, anzuwenden. (*9) Ein Sonderfall ist Johannes Kepler, dem einige freundliche Worte für die Astrologie gerne als feste Überzeugung für die schicksalshafte Bedeutung der Sterne ausgelegt werden.
Während im 19. Jahrhundert die Astrologie durch den Aufschwung der Naturwissenschaft und das allgemeine Vertrauen in die Verläßlichkeit des wissenschaftlichen Weltbildes fast tot war, hat im 20. Jahrhundert, wahrscheinlich ausgelöst durch die Erschütterung der gesellschaftlichen Ordnung durch zwei Weltkriege und gegenwärtig durch die technikabgewandte romantisch-nostalgische Wissenschaftsfeindlichkeit weiter Kreise, die Astrologie wieder an Publizität gewonnen. Sie äußert sich vor allem in dem breiten Raum, den astrologische Aktivitäten in den für einfache Bevölkerungsschichten gedachten Unterhaltungssendungen und Zeitschriftenberichten einnehmen.
Erkenntnistheoretische Analyse der Astrologie
Auch wenn die Astrologie ihre hohe Anhängerzahl im wesentlichen in der nichtintellektuellen Schicht besitzt und vor allem naturwissenschaftlich Gebildete sich im allgemeinen ablehnend verhalten, kann man die wissenschaftstheoretische Bewertung der Astrologie nicht einfach aus dieser gesellschaftlichen Situation herauslesen. Sie muß durch eine erkenntnistheoretische Analyse der Astrologie selbst gewonnen werden. Obwohl die Wissenschaftstheoretiker sich fast völlig einig sind, was den epistemologischen Status der Astrologie anbelangt, so herrscht doch eine starke Verschiedenheit in der Meinung über die Begründung dieser Auffassung. Ein Verteidiger der Astrologie könnte gerade diese Situation für die Astrologie ausnützen, indem er darauf verweist, daß sich die Methodologen der etablierten Wissenschaft zwar alle einig sind, daß die Astrologie keine Wissenschaft ist, den pseudowissenschaftlichen Charakter aber jeweils anders begründen. (*10) Hier bleibt auf jeden Fall noch viel Arbeit für eine Vereinheitlichung der Begründung, denn der Fall Astrologie kann solange nicht als abgeschlossen betrachtet werden, als nur über das Ergebnis nicht aber über den Weg der Zurückweisung der Astrologie als Wissenschaft Einigkeit erzielt worden ist.
Die stärksten Gegenargumente sind nicht jene, die von mangelnden empirischen Bestätigungen herrühren, sondern die immanenten Argumente, die vom Aufbau und der logischen Struktur der Astrologie ausgehen. Nur durch eine Analyse der inneren Theorienstruktur kann beurteilt werden, ob die Astrologie jemals mit einem konsistenten Modell ausgestattet werden kann, das einen durchschaubaren prüfbaren Mechanismus der Einflußnahme stellarer Eigenschaften auf menschliche Charaktereigenschaften spezifiziert und damit die Astrologie in den Rang einer konkurrenzfähigen kontrollierbaren faktischen Wissenschaft erhebt. Damit ist die Behandlung des wissenschaftlichen Charakters der Astrologie eine metatheoretische Aufgabe grundsätzlicher Art. Wenn die Wissenschaftstheorie etwas leistet, muß sie solche Abgrenzungsfragen beantworten können; sie muß entscheiden können, ob die Astrologie ebenso wie die Katastrophentheorie von Immanuel Velikovsky und die Schöpfungswissenschaft der Fundamentalisten bestimmte Kriterien der Wissenschaftlichkeit erfüllt oder nicht. Dabei kann es kein Einwand gegen ein solches Verfahren sein, daß in einem anderen Zusammenhang die Kriterien der Wissenschaftlichkeit selbst wieder einer rationalen Diskussion unterworfen werden. Dies spiegelt nur die Tatsache, daß eben gar keine Sätze der Wissenschaft von der Kritik und der möglichen Revision ausgenommen sind.
Methodologische Untersuchung
Bei den meisten Autoren rangieren die statistischen Korrelationserfolge bzw. Mißerfolge zwischen Sternpositionen und Menschenschicksalen als diejenigen von primärem Wert. Es wird sehr oft die Meinung vertreten, daß zuerst der empirische Erfolg in Form von statistischen Zusammenhängen unkontrovers bestätigt sein muß, ehe es lohnt, sich über den etwaigen Erklärungserfolg einer zugehörigen Theorie Gedanken zu machen. (*11) Man soll sozusagen zuerst die harten empirischen Fakten aufsuchen, um die man dann eine Theorie mit explanativer Kraft baut. Wir sind hingegen der Meinung, daß man den Daten damit eine zu hohe primäre Stellung zuweist. Daten sind nicht unkritisierbar, schon gar nicht, wenn sie mit statistischen Methoden gewonnen wurden. Statistische Methoden können falsch angewandt werden, bzw. die ausgewählten Parameter, die gekoppelt wurden, können wenig repräsentativ für die einschlägigen Eigenschaften sein. Darüber hinaus sollte auch eine gute Theorie selbst die meßbaren Größen spezifizieren, die dann bei einem empirischen Test einer Kontrolle unterworfen werden. Um exemplarisch etwas deutlicher zu werden: Es ist sinnvoller, zuerst zu untersuchen, ob Numerologie - die Lehre, daß den Zahlen eine innere Wirksamkeit zukommt und man aufgrund einer bestimmten Hausnummer, mit der man wohnt, glückliche oder unglückliche Erfahrungen macht (*12) - überhaupt grundsätzlich ein vernünftiges Unternehmen ist, als jetzt auf die Jagd nach stützenden Daten für die Beziehung von Zahlen und menschlichen Schicksalen zu gehen.
Die methodologische Untersuchung der gegenwärtig vertretenen Hypothesen der Astrologie wird ergeben, daß selbst dann, wenn es erstaunliche empirische Befunde gäbe, derart, daß Menschen mit gleichen Horoskopen gleiche Schicksale hätten (was zweifellos nicht der Fall ist), die von den Astrologen angebotenen Hypothesen aus erkenntnistheoretischen Gründen niemals die Erklärung für diese Beobachtungen sein könnten. Angenommen, es fänden sich dereinst neue unübersehbare empirische Korrelationen von Planetenörtern und Persönlichkeitszügen individueller Menschen, dann würde man von der Naturwissenschaft her versuchen, neue psychophysische (das sind nicht notwendige spirituelle) Wechselwirkungen zu postulieren. Diese würden zuerst als postulierte Größen in der Theorie fungieren, solange bis man direktere Prüfmethoden für das Vorhandensein und die quantitative Stärke dieser neuen cälestrischen Kräfte hätte. Wenn diese Wirkungen echte, reale Züge der Natur darstellten, müßte sich eine Theorie davon aufbauen lassen, durch die die Art der neuen Himmelskräfte expliziert wird.
Kritische Argumente ontologischer Art
Zu den wichtigen Elementen einer Kritik an astrologischen Hypothesen gehören auch Argumente ontologischer Art. Die Natur scheint eine Schichtung aufzuweisen und die Wirkungen respektieren die Schichtstruktur in dem Sinne, daß physische Einwirkungen und damit auch von den Sternen ausgehende Kräfte, zuerst auf das biologisch-chemische Substrat des Organismus und dann erst mittelbar auf den neurophysiologischen Träger der Charaktereigenschaften übertragen werden. All unser naturwissenschaftliches Wissen weist darauf hin, daß der Einfluß physischer Objekte wie Sterne und Planeten nicht einfach die che-misch-biologisch-neurophysiologischen Ebenen überspringen können und deshalb auch nicht direkt auf Charakterqualitäten wie Mut, Tapferkeit, Abenteuerlust einwirken können. Wir werden im folgenden sehr oft simultan auf der methodologischen, epistemologischen und ontologischen Ebene argumentieren.
Die theoretische Situation
Wenn man nur die schwache Annahme macht, daß von den Sternen irgendwelche (physikalische, chemische, biologische oder auch spirituelle) Wirkungen ausgehen, deren Natur völlig offen gelassen wird (Sammelname: Schicksalsstrahlen), dann ist man erstaunt, daß von den 6000 sichtbaren Sternen und den 1E11 Sternen der Milchstraße sowie von den 1E22 Sternen aller Galaxien im beobachtbaren Universum alle unwirksam sind mit Ausnahme der 150 Sterne des Tierkreises, den Planeten, der Sonne und des Mondes, und man wundert sich, daß die Monde der Planeten ebenso wie der helle Stern Sirius und bekannte Konstellationen wie Orion und Bär keine solche Schicksalsstrahlen absenden. Hier zeigt sich, daß man der geschichtlichen Situation Rechnung tragen muß. Man kann hier nicht, wie etwa Thagard gegen Bart Bok argumentiert hat (*13), von der Situation ausgehen, daß der Ursprung der Astrologie im magischen Weltbild für die gegenwärtige Behauptungssituation völlig irrelevant ist. Bei der Astrologie liegt eben nicht die Situation des Verhältnisses von Alchemie zur Chemie vor, wo letztere Wissenschaft sich von ihrem magischen Vorläufer völlig emanzipiert hat. Wie wir bald sehen werden, sind die Mechanismen der Astrologie ausschließlich dann sinnvoll, wenn man sie in ihrer heute vorliegenden Form im magischen Sinne interpretiert. So ist etwa die Begründung für die Auswahl der wirkenden Sterne im astronomischen Wissen der Antike und im Charakter der Sterne zu suchen, die in babylonischer Zeit göttliche Verehrung genossen.
Sterne und ihre Wirkungen
Die Schicksalsstrahlung (S-Strahlung) muß von besonderer Art sein. Da die Planeten immer wirken, auch wenn sie nicht am Himmel stehen, muß die S-Strahlung durch gewöhnliche Materie unabschirmbar sein. Dies kann primär nicht für einen Einwand ausgenützt werden, da Neutrinos auch völlig ungehindert die Erde durchdringen, allerdings indirekt nachweisbar sind. So müßte auch das "Propagatorteilchen" der S-Strahlung, auch wenn es rein spiritueller Natur ist, sich irgendwie empirisch manifestieren, d. h. seine geistigen Wirkungen müßten aufweisbar sein. Wenn man nicht von einem dogmatischen Materialismus ausgeht, läßt sich kaum ein logisches A-priori-Argument gegen spirituelle S-Strahlung bringen, jedoch sollte sich diese geistige Wechselwirkung auch unabhängig prüfen lassen. So müßte die Erde, die ja vermutlich für Horoskope von Ereignissen auf den anderen Planeten auch von Relevanz ist, als Quelle von S-Strahlen angenommen werden. Damit sollten die S-Strahlen auch in terrestrischen Experimenten feststellbar sein, wenn sie geistiger Natur sind - natürlich mit entsprechenden psychophysischen Methoden. Solange dies nicht der Fall ist, ist es eine vorläufige plausible Annahme, daß es solche Strahlung nicht gibt und daß wir die physikalischen Einwirkungen der Sterne relativ vollständig kennen. Dies ist die in der Wissenschaft übliche Weise mit negativen Existenzaussagen umzugehen. Zu sagen, daß ein bestimmtes Objekt nicht existiert, bedeutet, daß es bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt keine guten Gründe gibt an die Existenz zu glauben. Dann dürfen wir das Argument von Bart Bok (*14) anwenden, daß die Einflüsse der Himmelskörper wegen der Ferne der Objekte viel zu schwach sind, um irgendwelche Einflüsse auf irdische Lebewesen auszuüben, denn die bekannten makroskopischen Kräfte sind entfernungsabhängig.
Horoskop und Charakter
Für das Aufstellen individueller Horoskope muß die Astrologie das Zeitintervall der Sternwirkung extrem einschränken, um nicht für eine zu große Zahl von Menschen die gleichen Voraussagen treffen zu müssen. Wenn das Geburtshoroskop das Schicksal des Neugeborenen fixieren soll und man sicher gehen will, daß keine spätere Tageskonstellation hier etwas Gewichtiges ändern kann, so muß der Stern einen kurzen gerichteten Puls S-Strahlung analog einem Blitz aussenden, der bei der Geburt des Kindes im Augenblick der Abnabelung den Charakter des Menschen fixiert.
Die Individualität des Horoskopes ist nicht in Einklang mit einer kugelsymmetrischen permanenten Abstrahlung, denn sonst müßte sofort gefragt werden, warum die Weichen für das Schicksal nicht kontinuierlich und nicht in erster Linie bei der Konzeption gestellt werden. (*15) Die nächste Frage wird sein, wie man den S-Puls in die genetische Struktur des Kindes einbaut. Von der befruchteten Eizelle bis zur Geburt realisieren sich die genetischen Dispositionen stetig und die Geburt stellt keinen grundsätzlichen Einschnitt in der Entwicklung der Charaktermerkmale dar. Demnach muß der S-Impuls an irgendeiner Stelle seine Wirkungen tun in einer Weise, die sein Eingreifen von denen der beiden übrigen Komponenten, nämlich der Wirkung des Genoms und der terrestrischen Umweltfaktoren unterscheidbar macht. Abgesehen davon, daß bei der Annahme der dominanten Wirkung der S-Strahlen umgekehrt aus dem vorgegebenen Schicksal eines Menschen auch sein Geburtstag berechenbar sein müßte, was noch kein Astrologe versucht hat, könnte ein Arzt, der etwa darüber zu befinden hat, wann eine Geburt einzuleiten ist, durch eine nur kurze Verzögerung des Geburtsbeginns bis etwa statt der Waage der Skorpion im Aszendenten aufgetaucht ist, die somatischen Eigenschaften des Kindes und sein Schicksal in entscheidender Weise beeinflussen.
Nomen est Omen . . .
Wohl am unverständlichsten ist jedoch die Annahme der Astrologie, daß keine der physikalischen Charakteristika wie Größe, Masse, Spektraltyp, Leuchtkraft, Entfernung eine Rolle spielen, sondern allein der historisch zufällige Name des Planeten bzw. des Tierkreiszeichens. Nicht die dichte Atmosphäre oder die retrograde 243-Tage-Rotation der Venus spielt eine Rolle, sondern jene Qualitäten, die mit der mythisch griechischen Göttin verbunden sind, bewirkt, daß unter ihrem Einfluß freundliche, liebenswürdige, der Liebe aufgeschlossene Menschen entstehen. Nicht die riesige Masse, die kalte Oberfläche, die Dichte des Saturns, sondern jene Eigenschaften, die der alte finstere Erdgott besaß, macht, daß unter seiner Ägide ernste und hinterlistige Menschen geboren werden. Die zwölf Tierkreiszeichen werden von den sieben Planeten (die fünf griechischen Planeten + Sonne + Mond) beherrscht, wobei ein Planet je zwei Tierkreiszeichen dominiert, Sonne und Mond aber jeweils nur eines. Die Zeichen bzw. die Sternbilder des Zodiakus - die aus einem noch zu erwähnenden Grund heute auseinanderfallen - sind ebenfalls ausschließlich über ihre antiken Namen wirksam, d. h. sie wirken, als ob sie die Macht und den Einfluß der entsprechenden irdischen Wesen hätten.
Wollen die Astrologen dem Vorwurf der logisch unverständlichen Namenswirksamkeit begegnen, müssen sie auf alte Erfahrungen von "natursichtigen" Vorfahren rekurrieren, welche dann die Namen der Planeten nach deren Wirksamkeit festgelegt hätten. Jedoch, sind diese Erfahrungen auf gewöhnlichem Wege zustande gekommen, müßten sie auch heute noch nachvollziehbar sein, erfordern sie hingegen eine geheimnisvolle unbekannte Erkenntnisquelle (Scheitelauge), so würde etwas Dunkles mit etwas noch Dunklerem erklärt.
Zudem dürfte dann niemals astrologischer Deutungsgebrauch von einem neu entdeckten Planeten gemacht werden. Der Uranus braucht 84 Jahre, um einmal den Tierkreis zu durchlaufen, Neptun 165 Jahre. Erst wenn die beiden einige Male in jedem Sternbild bzw. Tierkreiszeichen gestanden haben, könnte man eine Ahnung von dem Zusammenwirken bekommen. Dennoch wurde Neptun bedenkenlos mit dem Untergang der "Titanic" in Zusammenhang gebracht, obwohl dieser Planet seit seiner Entdeckung (1846) bis heute den Tierkreis noch nicht ein einziges Mal voll durchlaufen hat.
Das Verfahren der Namensdeutung wurde auch als Fall des magischen Korrespondenzprinzips rekonstruiert (*16): So wie der Fisch im Wasser lebt, so muß die Sternkonstellation Pisces als ein wässriges Zeichen betrachtet werden. Diese Entsprechung ist magischer Natur und kann eben deshalb nicht weiter naturalistisch hinterfragt oder aufgelöst werden. Das erkenntnistheoretische Problem liegt natürlich darin, warum man heute gehalten sein soll, diese magische Korrespondenz in unser Weltverständnis einzuführen, obwohl sie an keiner Stelle gebraucht wird.
Sind Sternbilder optische Projektionen?
Von den heute 88 benannten Sternbildern sind für die Astrologen nur jene zwölf Zeichen relevant, die in der Ebene der Ekliptik liegen. Entscheidend ist nun, daß von den Astronomen das antike zweidimensionale Bild der Sphäre in einer dreidimensionalen Ordnung aufgelöst wurde. Damit zeigt sich, daß die Konstellationen rein zufällige Sichtlinieneffekte darstellen, die darin gründen, daß die scheinbare Helligkeit allein nicht ausreicht zu entscheiden, ob das stellare Phänomen durch einen nahen Stern schwacher Luminosität oder durch einen fernen Stern starker innerer Leuchtkraft ausgelöst wurde. Sternbilder sind damit gar keine dynamisch irgendwie gekoppelten Systeme, sie sind gar keine physikalischen Systeme, sie sind optische Projektionen. Zudem bedarf es ausnehmender Phantasie, in die Zufallsanordnungen von Sternen die historischen Figuren hineinzusehen; nicht umsonst haben alle Kulturen die Sternkonstellationen mit verschiedenen Sinndeutungen belegt.
Solche Deutungen haben unter Umständen einen gewissen testpsychologischen Wert - analog dem Rorschach-Test in der Psychologie - derart, daß die Art der Deutung über den seelischen Zustand des Deuters einen Aufschluß geben kann Die wohlwollendste Interpretation der astrologischen Postulate wäre, sie als Heuristik zu verwenden. Wenn man jedoch einmal eingesehen hat, worin ein Sternbild besteht und daß seine astrologische Verwendung auf einem reinen Namensfetischismus beruht - der vom Mars beherrschte Widder ist draufgängerisch, der von der Venus beherrschte Stier ist patriarchalisch, der vom Mond beherrschte Krebs ist gefühlvoll und der von der Sonne beherrschte Löwe ist edel, - dann muß man von der Ansicht abgehen, daß es sich hierbei um ein fruchtbares metaphysisches Forschungsprogramm handelt, das dereinst hochrangige wissenschaftliche Theorien hervorbringen wird oder daß die Astrologie eine rudimentäre Prototheorie ist, die durch entscheidende Verbesserungen in eine testbare wissenschaftliche Theorie übergeführt werden kann. Die Grundkonstruktion, der Glaube an die Wirksamkeit von willkürlich angebrachten Etiketten, an als physikalische Systeme nicht existierende Objektmengen, ist keine verbesserungsfähige Ausgangssituation.
Deshalb geht es auch nicht an, auf tatsächlich bestehende, nicht auf Namensgebung beruhende Wirkungen der Gestirne hinzuweisen, um noch unbekannte Schicksalseinflüsse zu vermuten. Natürlich erhält die Sonne als Energiequelle das Leben auf der Erde aufrecht, selbstredend wirkt der Mond in den Gezeiten mit, aber auf eine kausal durchschaubare Weise. Welche neuen Felder und Übertragungsmechanismen auch gefunden werden, die magische Struktur der astrologischen Hypothesen vereiteln ihre Verbesserungsfähigkeit. (*17) Man sieht dies z. B., wenn der 1930 entdeckte und benannte 9. Planet wegen seines Namens (Pluto ist der Höllenfürst) hinterlistige heimtückische schädliche Wirkungen ausübt und deshalb am Abwurf der Atombombe und an dem Erdbeben von San Francisco schuldig ist (*18), solche Katastrophen aber unterblieben wären, wenn die Namengeber vielleicht Amor oder Sophia gewählt hätten. Wenn man die freie Wählbarkeit des Namens ablehnt, statt dessen eine "wesenhafte" innere Bezüglichkeit von sprachlichen Zeichen und dem Designat postuliert, muß man einen unverständlichen linguistischen Essentialismus befürworten. Im astrologischen Kontext würde dies die unglaubhafte Annahme suggerieren, daß der Planet es selbst ist, der dafür sorgt, daß die Menschen ihm sein wesensgemäßes sprachliches Zeichen zuordnen. Solche magischen Prozesse sind logisch nicht unmöglich, aber faktisch werden sie für kein einziges bestehendes rätselhaftes Phänomen gebraucht.
Langsame Veränderung der Sternkonstellationen
Gegenüber diesem Einwand ist es fast ein Punkt von untergeordneter Bedeutung, daß durch die heliozentrische Astronomie die Bewegung der Sonne durch das Band des Zodia-kus als scheinbare Bewegung enthüllt wurde, daß die Formen der Sternkonstellationen sich wegen der Pekuliarbewegung der Sterne langsam verändern und daß die Planeten heute wegen der Präzession der Äquinoktien zu ganz anderen Zeiten in die einzelnen Sternbilder eintreten, als sie die Astrologen effektiv verwenden. Deshalb mußte neben dem siderischen Zodiakus von den Astrologen auch der sogenannte tropische Zodiakus eingeführt werden. Beide verschieben sich alle 2 000 Jahre um ein Zeichen. Allerdings generiert die von Hipparch entdeckte Westwanderung der Schnittpunkte von Himmelsäquator und Ekliptik (Äquinoktium) um 2°/150 Jahre (48"/Jahr) für die Astrologie eine Zwickmühle. Entweder man baut diese astronomische Tatsache in die astrologischen Regeln ein, dann sind alle Voraussagen der letzten Jahrhunderte falsch, weder Planeten noch Sonne standen in den Sternbildern, die die Astrologen ihren Voraussagen zugrunde legten, oder man verzichtet darauf, die Sternbilder selbst als Quellen der S-Wirkung anzusehen und postuliert ein "Kraftfeld", das von den Tierkreiszeichen ausgeht, jenem Ort, wo sich früher das Sternbild befand. Dieser Raum, wo das Sternbild sich vor 2 000 Jahren befand, wird mit der Wirkung dieser Zeichen als gesättigt angesehen und fungiert jetzt als Quelle der Schicksalswirkung. Das ist der Bilderbuchfall einer Adhoc-Strategie zur Rettung einer Theorie und gleichzeitig auch ein Übergang zu einem Hypothesentyp, der ein physikalisches Verstehen unmöglich macht. Dabei ist noch nicht in Rechnung gestellt, daß die Sonne in ihrer 250-Millionen-Jahre-Wanderung um den Kern der Milchstraße unser Planetensystem immer in ein neues Raumgebiet führt. Zentral ist in jedem Fall der Unterschied von wahrer und scheinbarer Bewegung. Da die Schwankung der Erdachse keine wahre Bewegung der Sterne im Raum, sondern eben nur eine scheinbare Wanderung der relativen Lokalisation von Sonne und Planeten zur Sphäre induziert, gibt es keinen identifizierbaren Herkunftsort des postulierten Schicksalsfeldes. Diese Schwierigkeit hat viele Astrologen dazu getrieben, rein geistige Agentien zu postulieren, die das individuelle Schicksal formen, womit die Verbindung zu den Sternen als materialen Systemen völlig abgerissen ist.
Die astrologischen Zeitalter
Diese Ausweichstrategien auf Erklärungsansätze, die dem ursprünglichen Schema völlig fremd sind, zeigen an, daß dieses nicht im eigentlichen Sinne verbesserungsfähig ist, sollten neue auftauchende Beobachtungen eine Veränderung erzwingen. Deshalb sind auch die immanenten Kritiken am schlagkräftigsten, die dem astrologischen Ansatz probeweise die Grundhypothese der Sternwirksamkeit zugestehen. Das ist auch an den sogenannten astrologischen "Zeitaltern" zu sehen. Angenommen, wir geben zu, daß es wichtig für das Schicksal der Menschen sei, in welchem Sternbild sich der Frühlingspunkt befindet, d. h. in welchem Sternbild die Sonne am 21. März steht. Dadurch ist ein Zeitalter definiert. Das Zeitalter des Wassermanns (Aquarius) oder der Fische (Pisces) muß deshalb an den zugehörigen Sternbildern und nicht an den Tierkreiszeichen hängen. Wegen der Präzession wandert aber nun der Frühlingspunkt durch die Sternbilder. Die Horoskope sind deshalb mit dem Zeichen Fische bzw. Wassermann verbunden. Beides kann man aber nicht zugleich behaupten. Wenn die Wirkung vom Sternbild ausgeht, sind die Horoskope falsch. Wenn die Wirkung vom Zeichen ausgeht, kann es die Zeitalter nicht geben. (*19)
Aspekte und Häuser
Ebenfalls zu den immanenten Kritikpunkten zählt die Vergabe der Bedeutungen der sogenannten Aspekte und Häuser. Nach astrologischer Ansicht ist es nicht nur wichtig, in welchem Zeichen die Sonne steht, sondern auch wie sie von einem bestimmten Planeten "angeblickt" wird, d. h. welchen Winkel der Strahl Erde-Sonne mit dem Strahl Erde-Planet bildet. Die Behauptung, daß die Winkel 0°, 60°, 120° harmonisch wirken, 45°, 90° und 180° hingegen schädlich sind, ist eine synthetische Behauptung, sie müßte durch empirische Untersuchung festgestellt werden und darf nicht festgelegt werden. Das gleiche gilt für die Häuser, die zweifelsohne eingeführt wurden, um neben den langsam veränderlichen Elementen des Horoskopes einen stündlich variablen Parameter zu besitzen, um stärkere Individualisierungen zu ermöglichen. Die zwölf Häuser sind feste Abschnitte der Sphäre, durch die die Tierkreiszeichen wegen der Achsendrehung einmal täglich wandern. Je nachdem in welchem Haus ein Planet steht, unterscheidet sich der Auftreffwinkel seiner Strahlen, die er zum terrestrischen Ort sendet. Die Zuordnung der Lebensbereiche zu den zwölf Segmenten der Himmelssphäre könnte vom Status der Aussagen her (z. B. 7. Haus ist für die Ehe, 2. Haus für Vermögen zuständig) gar nicht willkürlich sein, wie es de facto geschehen ist, sondern es hätte umfangreicher empirischer Erhebungen bedurft, um festzustellen, ob Merkur im 3. Haus bei der Geburt eines Kindes gutes Einvernehmen mit den Geschwistern oder Merkur im 2. Haus finanziellen Erfolg bringen wird. Die Unabhängigkeit von Auftreffwinkel der merkurischen S-Strahlen und der jeweilig betroffenen Lebensqualität des Menschen kann niemals apriorischen Charakter besitzen. Es wäre jene Regularität, die aposteriorisch der Natur entnommen werden müßte, um dann die Vorhersage über die Zukunft eines Kindes zu machen.
Probleme mit der Lichtgeschwindigkeit
Zu den externen Schwierigkeiten, also jenen, die aufgrund bekannter physikalischer Regularitäten sich für die Astrologie ergeben, gehört die Endlichkeit und Unüberschreitbarkeit der Lichtgeschwindigkeit (ein Grundprinzip der Speziellen Relativitätstheorie). Das Licht braucht vom Uranus zirka zweieinhalb Stunden, um die Erde zu erreichen. Ein in der Tafel des Astrologen eingezeichneter Uranus, der bei der Geburt eines Kindes hoch am Himmel steht, war tatsächlich im Deszendenten, wenn man die Verzögerung einrechnet. Der Zeitverschiebungseffekt betrifft natürlich alle von Sternbildern auslaufenden Wirkungen wie auch die Stellung der Planeten zu den Sternbildern und die Stellung der Planeten untereinander. Je nach ihrer Entfernung werden alle diese räumlichen Verhältnisse durch die Laufzeit des Lichtes extrem verzerrt. Wenn Astrologen bei solchen physikalischen Einwänden sich auf eine symbolische Bedeutung der Konstellationen zurückziehen (*20), muß man verlangen, daß auch die entsprechende Prophetie nur symbolisch gemeint ist und nicht im Sinne des realen Eintretens zukünftiger Ereignisse.
Die empirische Situation
In der Wissenschaft werden zum Teil auch phänomenologische Theorien verwendet, solche, bei denen jeder innere kausale Mechanismus ausgeklammert wird, weil er der momentanen Analyse nicht zugänglich ist oder weil man sich aus bestimmten Gründen dafür nicht interessiert. Die Streutheorie der Quantenmechanik (S-Matrix) und die phänomenologische Thermodynamik sind bekannte Beispiele. Das müßte man der Astrologie auch zugestehen.
Voraussagen: Treffer oder Nieten?
Unabhängig von der oben behandelten Frage, ob die Astrologie mit einem inneren Modell ausstattbar ist, kann man sie einmal als Black-box-Studie betrachten und fragen, ob sie unter dieser Vorgabe eine aufweisbare empirische Leistung vorzeigen kann. Hier hängt offenbar viel davon ab, wie scharf man die anthropologisch-charakterologischen Prädikate fassen kann, um eine Voraussage überhaupt als Treffer oder Niete werten zu können. Sehr schwache Voraussagen qualitativer Natur über Tendenzen, Neigungen und Dispositionen des astrologischen Kunden sind fast untestbar und auch nie durch einen Einzelfall widerlegbar, sondern eben nur durch eine längere statistische Reihe. Bestimmte Typen von Voraussagen wie etwa "Große Gefahr droht, wenn eine geplante Reise vor dem 20. April angetreten wird", sind von ihrer logischen Struktur her schon nicht bestätigungsfähig. Befolgt der Kunde den Rat, wird er nie erfahren, was passiert wäre, wenn er statt am 21. April die Reise am 15. April durchgeführt hätte. Unklar ist auch, ob die Astrologen der im menschlichen und sozialen Bereich ja gegebenen Möglichkeit der selbsterfüllenden und selbstwiderlegenden Prophetie Rechnung tragen. Wenn für die nächste Woche dem Fragesteller ein schwerer Verkehrsunfall vorausgesagt wird (selten sind die Aussagen so präzise), kann der Betroffene natürlich (indem er sich nicht aus dem Haus bewegt) die Prognose zu Fall bringen. Auf der anderen Seite ist es denkbar, daß die Prognose den Autofahrer so nervös macht, daß er tatsächlich auf kausalem Wege dem Eintritt des Unfalls Vorschub leistet. Ein wirklich empirischer Test ist nur dann gegeben, wenn die klaren numerischen astronomischen Daten eines Menschen zu einem Zeitpunkt mit ebenso eindeutig beurteilbaren anthropologischen Daten korreliert werden. Statistisch muß dabei klar sein, daß das zu erwartende Fehlen einer Korrelation einer Gleichverteilung von Treffern und Nieten gleichkommt. Auch wenn ich nicht im Besitz von Präkognition bin, werde ich auf lange Sicht 50 Prozent aller Kopf- oder Adlerwürfe einer Münze erraten. Treffer in der Astrologie sind also zu erwarten und im richtigen Ausmaß (statistische Normalverteilung) das, was einer absoluten Unkorreliertheit entspricht. Die natürliche Tendenz vieler Menschen, die die Astrologie gerne bestätigt sehen wollen, besteht darin, die Treffer zu speichern und Nieten zu verdrängen oder überhaupt nicht gegeneinander aufzurechnen. Diese Einstellung schafft das irrationale intellektuelle Klima, in dem die astrologische Subkultur gedeihen kann.
Die bestimmende Kraft der Sterne
Einige Astrologen haben versucht, auf statistischem Wege Bestätigungen für die bestimmende Kraft der Sterne zu produzieren. Schon um 1900 glaubte Paul Choisnard bei 123 berühmten Menschen eine Abhängigkeit von sozialem und intellektuellem Rang und den Stellungen der Sterne und Planeten bei der Geburt aus den Horoskopen herausgefiltert zu haben. In den vierziger Jahren hat dann der schweizer Astrologe Karl Ernst Krafft aufwendige Untersuchungen an den Sternkarten von Musikern und Malern durchgeführt. Obwohl einige seiner Untersuchungen die natürliche Gleichverteilung von Musikern auf die Sternbilder des Tierkreises ergaben, lieferten andere von seinen Analysen charakteristische Muster von Planetenpositionen, die mit bestimmten Berufen assoziiert waren. Später wurde durch den französischen Mathematiker Michel Gauquelin gezeigt (*21), daß die positive Korrelation ein Artefakt der falsch angewandten Statistik von Choisnard und Krafft war. Eine neue Untersuchung von Bok, der alle Namen eines amerikanischen Gelehrtenlexikons mit den Geburts- und Sternbildern verglich (*22), fand keine Art von Trend derart, daß Musiker, Wissenschaftler sich jeweils bei einem Sternbild häuften. Gauquelin, der in seiner kritischen Arbeit die Legende zerstört hatte, daß der Beruf eines Menschen durch seine Geburtsstunde tendenziell festgelegt sei, behauptet durch eine spätere Untersuchung herausgefunden zu haben, daß bestimmte Planetenpositionen mit Geburtszeiten statistisch korrelieren und daß die Stellung der Planeten Mars, Jupiter, Saturn und des Mondes mit bestimmten Berufsgruppen (z. B. aufgehender Saturn bringt Wissenschaftler und Ärzte hervor) verbunden sind. Hier wie bei allen qualitativen Aussagen ist Vorsicht geboten, weil eine solche Korrelation zu leicht durch den Einteilungsgesichtspunkt der Klassifikation induziert sein kann. Gerade bei den Berufsgruppen wird der Erfolg oder Mißerfolg der Korrelation vom Grad der Aufsplitterung und der Zuordnung bzw. Abgrenzung abhängen. Eigenartigerweise machen die Berufsastrologen, also jene Leute, die ihren Lebensunterhalt mit dem Wahrsagen und Erteilen von Ratschlägen für die Lebensführung verdienen, wenig Gebrauch von den angeblichen "statistischen Stützen" ihrer Wissenschaft. Sie verbreiten eher um sich die Aura, im Besitz höheren Wissens zu sein, die bestimmenden "Kräfte" der Sterne zu kennen, die gar nicht mit den wissenschaftlich-kritischen Methoden zu Tage gefördert werden können, sondern nur durch einfühlende Anteilnahme verstehbar sind. Damit kommen sie sicher vielen ihrer Kunden entgegen, die sich sehr oft mit Lebensproblemen an die Astrologen wenden. Diese sind im allgemeinen nicht daran interessiert, über eine fünfte "stellare" Wechselwirkung in der Natur aufgeklärt zu werden, sondern sie suchen ihre Zuflucht in einem das Gemüt ansprechenden möglichst positiven Zuspruch, der sie einige Alltagsschwierigkeiten überwinden läßt, wenn sie einige Vorsichtsmaßregeln, die man aus den Sternen ablesen kann, befolgen.
Astrologie als Lebensberatung?
Für Menschen, die nicht Erkenntnis, sondern Religionsersatz suchen, sind die kognitiven Einwände natürlich irrelevant. Wenn die Astrologen sich darauf beschränken würden, gute Amateurpsychologen zu sein, die den Menschen aus einer aufgearbeiteten Alltagserfahrung heraus vernünftige Ratschläge geben, wenn die Astrologie eine Art Lebensberatung wäre, die nur nominell und historisch etwas mit Sternen und Planeten zu tun hätte, ja dann könnte sich am Ende sogar eine friedliche Koexistenz von Astrologie und Wissenschaft herausbilden. Allerdings müßten sich dann die Astrologen wirklich auf Common-sense-Probleme beschränken und nicht versuchen, in Konkurrenz zu wissenschaftlichen Unternehmen (Meteorologie, Unternehmensberatung, Medizin, Pädagogik) jene menschlichen Fragen in Angriff zu nehmen, die nur durch fundamentale wissenschaftliche Theorien beantwortbar sind.
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Anmerkungen:
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[*1] Müller, R.: Astronomische Begriffe. Mannheim 1964. S. 125.
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[*2] Henseling, R.: Umstrittenes Weltbild. Leipzig 1939.
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[*3] Popper, K R.: Die offene Gesellschaft und ihre Feinde.
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[*4] von Hayek, F A.: The Sensory Order. Chicago 1952.
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[*5] Eysenck, H. J / Nias, D.: Astrologie -Wissenschaft oder Aberglaube? München 1982.
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[*6] Marshack, A.: The Roots of Civilization. New York 1972.
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[*7] Vgl. etwa Becker, U.: Lexikon der Astrologie. Freiburg 1981. S. 3.
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[*8] Claudius Ptolemaios: Tetrabiblos. Hrsg. von J. M. Ashmand. North Hollywood 1976. S. 1.
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[*9] Giovanni Pico della Mirandola: Opera Omnia 1. Hildesheim 1969. p. 411.
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[*10] Tallagard, P. E.: Why Astrology is a Pseudoscience. In: PSA 781, East Lansing 1978. S. 223-234.
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[*11] Goldberg, St.: ls Astrology Science? The Humanist,
March/April 1979. S. 917.
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[*12] Cope, L.: Your Stars Are Numered. Garden City 1971.
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[*13] Bok, B. / Jeromc, L.: Objections to Astrology. Buffalo (N.Y.) 1975. S. 21.
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[*14] Bok, B. J./Jerome, L. (Anm. 13), S. 23.
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[*15] Trotz der Feineinteilung der astrologischen Eigenschaften ergab schon 1950 eine Abschaätzung, dar 240 Menschen exakt das gleiche Horoskop besizen (Reiners, L.: Steht es in den Sternen? München 1951. S. 195).
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[*16] Jerome, L.: Astrology: Magic or Science? In: Bok B. J. / Jerome, L. (Anm. 13), S. 243.
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[*17] So können die Astrologen auch nicht die seit einiger Zeit entdeckten Befunde über die biologischen Uhren als Erfolg verbuchen, weil diese gerade nicht nach den obigen magischen Grundsätzen arbeiten.
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[*18] Reiners, L. (Anm. 15), S.47.
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[*19] ders., S. 62
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[*20] Gallant, A.: Astrology Sense or Nonsense? New York 1974. S. 104.
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[*21] Gauquelin, M.: The scientific basis of astrology. New York 1969.
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[*22] Bok, B. J. / Jerome, L. (Anm. 13), S. 37
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