Die Vielfalt der astrologischen Systeme

In beinahe jeder großen Kultur , die wir kennen, gibt es eine Form von Astrologie. Seit einiger Zeit stößt bei uns z. B. die chinesische Astrologie auf vermehrtes Interesse. Wenn die Astrologie wahr ist, müßten dann nicht die verschiedenen Kulturen prinzipiell zu ähnlichen Resultaten gekommen sein und ähnliche astrologische Regeln aufgestellt haben? Selbst in unserer eigenen Kultur gibt es verschiedene astrologische Methoden, stützen sich die Astrologen der verschiedenen astrologischen Richtungen zum Teil auf ganz unterschiedliche Himmelserscheinungen. Die Naturgesetze sind aber überall dieselben, und in den Naturwissenschaften kommen Forscher in den verschiedensten Ländern entsprechend zu gleichen Resultaten. Spricht die Vielfalt in der Astrologie nicht dafür, daß ihre Ergebnisse mehr Meinung sind als Wissen?

Die verschiedenen astrologischen Systeme sind vielleicht am ehesten den verschiedenen psychotherapeutischen Schulen vergleichbar: Jeder psychotherapeutischen Richtung liegt, meist allerdings implizit, ein eigenes Menschenbild zugrunde, und, damit zusammenhängend, bestimmte Vorstellungen über Wesen und Ursachen menschlichen Leids, sowie über Wege und Ziele einer Psychotherapie, also einer Veränderung dieses Leids.

Aus der Sicht eines Psychoanalytikers z. B. haben, stark vereinfacht ausgedrückt, viele psychische Störungen ihre Ursache in krankmachenden (traumatischen) frühkindlichen Erlebnissen. Ein solches Erlebnis ist häufig dem betreffenden nicht mehr bewußt, d. h. er kann sich, auch wenn er will, an dieses Erlebnis nicht mehr erinnern. Das kann dazu führen, daß er die mit dem Erlebnis verbundene Angst auf etwas "überträgt", das mit dem ursprünglichen Erlebnis scheinbar nichts zu tun hat. Auf diese Weise können "unerklärliche" Ängste vor Dingen, Lebewesen oder Situationen entstehen.

Für einen Verhaltenstherapeuten dagegen sind psychische Störungen im wesentlichen "unangepaßte Verhaltensweisen", die durch "falsches Lernen" entstanden sind. Ängste entstehen u. a. dadurch, daß ein Mensch mit bestimmten Dingen, Lebewesen oder Situationen erschreckende oder schmerzende Erfahrungen gemacht hat. Es kann sein, daß man sich an das angstauslösende Erlebnis nicht mehr erinnert, aber das ist auch nicht nötig, denn man kann ja hier und jetzt mit der vorhandenen Angst arbeiten.

Während also der Psychoanalytiker mit seinem Klienten dessen "Kindheit aufarbeiten" wird, motiviert der Verhaltenstherapeut seinen Klienten, umzulernen, anstelle der unangepaßten (schädlichen, zu Frustrationen führenden) Verhaltensweisen solche zu setzen, die der jeweiligen Situation angepaßt sind (die zum gewünschten Erfolg führen, die der Realität besser gerecht werden). Ein Verhaltenstherapeut wird also bei einer Canophobie (einer übertriebenen, einer "krankhaften" Angst vor Hunden) ein Trainigsprogramm entwerfen und den Klienten wieder an Hunde gewöhnen (vielleicht zunächst sogar nur in der Phantasie, dann, als Steigerung, durch Fotografien, und schließlich durch vorsichtige direkte Kontakte mit einem kleinen Hund). Der Psychoanalytiker könnte in einem bestimmten Fall die Vermutung haben, die Angst vor Hunden habe ihre Ursache in eigenen unterdrückten Aggressionen (vielleicht mußte er als Kind immer besonders "artig" sein, durfte seine Aggression nie zeigen oder ausleben). Er hilft dem Klienten, sich seiner Aggressionen bewußt zu werden - und die Canophobie verschwindet auf diese Weise "nebenbei" auch.

Das Verhalten eines Menschen wird also aus der Sicht dieser beiden Therapeuten sehr verschieden gedeutet, die beiden Therapeuten orientieren sich an ganz unterschiedlichen Aspekten des Verhaltens und fassen ganz verschiedene Verhaltensweisen als Symptome auf. Dennoch sind beide Therapie-Formen erfolgreich (und z. B. von den Krankenkassen, die ja die Psychotherapien bezahlen müssen, anerkannt).

Ähnlich kann man die von Kultur zu Kultur unterschiedlichen Formen von Astrologie oder die verschiedenen astrologischen Systeme in unserer heutigen Kultur verstehen. Neben erstaunlichen Parallelitäten in Astrologien von Kulturen, die sich nie berührt haben, werden teilweise ganz andere Himmelsvorgänge und Himmelabschnitte für die Deutung herangezogen. Vor allem sind die symbolischen Bedeutungen, die man bestimmten Himmelvorgängen (etwa der Bewegung von Planeten) gibt, kulturspezifisch.

Unsere abendländische astrologische Tradition geht auf die Griechen zurück. Die hellenistische Astrologie selbst ist ein Mischprodukt aus babylonischen und orientalischen Einflüssen mit griechischer Mathematik und Naturphilosophie. Die Krönung des griechischen Lehrgebäudes erfolgte durch POSIDONIUS VON APPAMEIA (um 100 v. Chr.), einem syrischen Philosophen. Das älteste erhaltene systematische Lehrbuch der Astrologie, das "Tetrabiblos" (Vierbuch) des PTOLOMAEUS (120-180 n- Chr.), ruht nachweislich auf seinen Lehren.

Im ersten Buch des Tetrabiblos behandelt PTOLOMAEUS die astrologischen Elemente. Er bemüht sich dabei, alles in Anlehnung an die griechische Mythologie Geschaffene durch rationale, physisch-kausale Elemente zu ersetzen. Man sieht daran, wie alt die Spannung zwischen Magie und Ratio in der Astrologie ist: Sie soll nicht magisch sein und kann, wie sie war und auch heute noch ist, nicht vollends rational aufgelöst werden.

Astrologie ist, auch heute noch, eine "Zumutung" für den menschlichen Verstand. Ich persönlich kann "Gegner" der Astrologie gut verstehen, war ich, wie in der Einleitung erwähnt, als angehender Mathematik- und Physiklehrer, doch selbst ein engagierter Gegner "allen Aberglaubens". Aber:
"Es ist ein großer Unterschied zwischen etwas noch glauben und etwas wieder glauben. Noch glauben, daß der Mond auf die Pflanzen würcke, verräth Dummheit und Aberglaube, aber es wieder glauben, zeigt von Philosophie und Nachdenken." (C. G. Lichtenberg im Jahre 1775)

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Home/Inhalt Buch/Inhalt © Copyright 1998 Dr. Peter Niehenke [02/Feb/98/TJK]

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