Kapitel 2.2: Das Horoskop Arbeitsgrundlage des Astrologen ist das Horoskop. Dieser Begriff ist abgeleitet von "horoskopos": So hieß der am Osthorizont aufsteigende Tierkreisgrad, weil er "die Stunde anzeigt" (griech. hora = die Stunde, skopein = sehen, schauen). Das Horoskop ist die grafisch dargestellte Konstellation der Gestirne unseres Sonnensystems für den Moment der Geburt eines Menschen *23. Da auch für andere Zeitpunkte Horoskope erstellt werden, bezeichnet man das für den Moment der Geburt aufgestellte Horoskop genauer als "Radix-Horoskop" (von Radix = Wurzel). Man könnte das Horoskop als eine Art Himmelskarte bezeichnen, in der die Positionen der Gestirne unseres Sonnensystems relativ zum Stand des Beobachters - also ihre geozentrisch berechneten Koordinaten - eingetragen werden.*24 Abbild 1 Am Beispiel der Sonne sehen wir, daß es zwei grundlegende Rhythmen ihrer Bewegung gibt. Der tägliche Rhythmus (Wechsel von Tag und Nacht) beruht auf der Rotation unserer Erde um sich selbst. Da wir die Drehung der Erde nicht bemerken, scheint uns die Sonne morgens im Osten aufzugehen, mittags ihren höchsten Stand zu erreichen und abends im Westen unterzugehen. In ähnlicher Weise gilt dies auch für alle anderen Himmelskörper: Sie gehen im Osten auf, kulminieren etwa 6 Stunden später und gehen etwa 12 Stunden später im Westen unter. Der zweite (jährliche) Rhythmus beruht auf der Revolution der Erde um die Sonne. Bedingt durch die Schrägstellung der Erdachse ist der Bogen, den die Sonne im täglichen Lauf am Himmel beschreibt, in unseren Breiten während bestimmter Perioden länger, d.h. die Tage sind länger als die Nächte. Genauer gesagt gilt dies für Frühling und Sommer: Der Nordpol ist ein halbes Jahr lang der Sonne zugewandt und die andere Hälfte des Jahres von der Sonne abgewandt. Auf diese Weise entstehen die uns bekannten Jahreszeiten. Nimmt man das Datum, an dem Tag und Nacht gleich lang sind und die Tage länger zu werden beginnen ("Frühlingsbeginn") zum Ausgangspunkt und teilt die Zeit bis zum nächsten Frühlingsbeginn (ein Jahr) in 12 gleiche Teile, dann ergeben sich ungefähr die Daten der populären Tierkreis-Typologie. Mit dem Frühlingsanfang beginnt das erste Zeichen des Tierkreises: der Widder. Denkt man sich die Raumabschnitte markiert, in denen sich die Sonne während dieser Zeiten aufhält, dann erhält man den "tropischen Tierkreis" - von Griech.: tropai = Wendepunkt, den von den Wendepunkten der Sonne (damit auch den von den Jahreszeiten) abgeleiteten Tierkreis - *25. Vor etwa 2000 Jahren deckten sich diese 12 Tierkreiszeichen ungefähr mit den 12 Sternbildern gleichen Namens, die man als Fixstern-Konfigurationen am Himmel sehen kann (s.u.). Diese 12 Sternbilder des siderischen Tierkreises dürfen nicht mit den Tierkreiszeichen des tropischen Tierkreises verwechselt werden. Sie liegen zwar ebenfalls in der Ebene der Sonnenbahn, haben jedoch eine unterschiedlich große räumliche Ausdehnung und sind zudem auf der Ebene der Sonnenbahn nicht klar voneinander trennbar, d.h. es ist nicht klar entscheidbar, ob die Sonne sich noch in dem vorherigen oder schon im nachfolgenden Sternbild aufhält, da die Bilder sich gegenseitig überlappen. Die Babylonier arbeiteten mit dem siderischen Tierkreis. Seit der Zeit der Griechen (genauer: seit PTOLOMAEUS) ist jedoch der tropische Tierkreis in Gebrauch. (KNAPPICH 1967, 51) Der Tierkreis ist eine Art Meßkreis: Er ist eine Aufteilung der Sonnenbahn in 12 Abschnitte, die im Falle des tropischen Tierkreises alle gleich groß sind (30 Grad je Zeichen). Sein Anfangspunkt orientiert sich im Falle des tropischen Tierkreises am Beginn des "natürlichen" Jahreszyklus (dem Jahreszeiten-Zyklus), im Falle des siderischen Tierkreises an bestimmten Fixstern-Konfigurationen. Welchen Tierkreis man wählt, ist eine Frage der Entscheidung (und Erfahrung): Unsere astrologische Tradition beruht auf der Verwendung des tropischen Tierkreises, und die Erfahrungen der Astrologen in den zurückliegenden mindestens 2000 Jahren sind mit diesem Tierkreis gewonnen worden. Da sich zur Zeit der Babylonier beide Tierkreise nahezu deckten, war damals durch das Sammeln von Erfahrungen kaum zu entscheiden, welcher der beiden Tierkreise der "richtige" ist *26. Die Griechen entschieden sich für den tropischen Tierkreis und behielten die Namen für die 12 Abschnitte bei. (a. a. O.) Der Unterschied zwischen Sternbild und Tierkreiszeichen beruht auf der sog. Präzession *27: Der Ort, an dem die Sonne zu Frühlingsbeginn steht (der Frühlingspunkt: Beginn des tropischen Tierkreises), wandert im Laufe von etwa 26.000 Jahren im Uhrzeigersinn durch den siderischen Tierkreis, so daß sich der tropische Tierkreis im Laufe von etwa 2000 Jahren jeweils um 30 Grad gegen den siderischen Tierkreis verschiebt. Der tropische Tierkreis beginnt also heute da, wo das Sternbild Wassermann am Himmel zu sehen ist *28. Ausführliche Erläuterungen hier. DieseTatsache stiftet immer wieder allerlei Verwirrung. So wird die Verschiebung der beiden Tierkreise immer wieder so formuliert, als stimme der Tierkreis nicht mehr, als seien die Tierkreiszeichen jetzt "in Wirklichkeit" an einer ganz anderen Stelle, als die Astrologen behaupten. Bei diesem Argument wird der Unterschied zwischen Tierkreiszeichen und Sternbild nicht gemacht. Dieses Argument gegen Astrologie zu verwenden, wie es seit Jahrhunderten immer wieder aufgewärmt wird (DITFURTH 1977, WIECHOZCEK 1984), zeugt also von einem beachtlichen Mangel an Verständnis der Zusammenhänge. Sinn macht ein solches Gegenargument zudem nur, wenn man unterstellt, der Kosmos-Bios-Zusammenhang basiere auf "Wirkungen" dieser weit entfernten Sternkonfigurationen. Diese Ansicht vertritt aber heutzutage kein ernstzunehmender Astrologe. Schließlich wird bei diesem Gegenargument übersehen, daß die Präzession schon den babylonischen Astrologen bekannt war und ihr Wert erstmals von HIPPARCH (190-120 v.Chr.) berechnet wurde. Die Präzession ist sogar Grundlage der Lehre von den Welt-Zeitaltern, wie oben kurz angedeutet wurde. Den Astrologen zu unterstellen, sie wüßtennichts von der Präzession, oder sie würden sie nicht berücksichtigen, ist allein schon im Hinblick auf diese heute doch populäre astrologische Lehre der Zeitalter geradezu unlogisch und zeugt von der mangelnden Kompetenz vieler Astrologie-Kritiker - zumindest in bezug auf das Gebiet, das sie kritisieren.
Die 12 Stationen der Sonne, Tierkreiszeichen genannt,
bilden für Astrologen auch das Koordinaten-System,
in das sie die Positionen der anderen Himmelskörper
und Raumpunkte, die sie für ihre Deutung benutzen,
projizieren. In Abb. 1 sehen wir die Positionen der
Planeten in ihrer Projektion auf die Ekliptik eingetragen.
Wir sehen z. B., daß der Mond sich im achten
Abschnitt nach dem Frühlingspunkt, Skorpion genannt,
befindet, die Sonne im sechsten, Jungfrau genannt.
Neben dieser Einteilung in die 12 Tierkreiszeichen
sehen wir in der Abb. noch eine weitere Einteilung
in ebenfalls 12 Abschnitte, deren Zählung links
am Aszendenten beginnt. Diese Einteilung hat etwas
zu tun mit der Stellung der Gestirne, bezogen auf den
Horizont des Geburtsortes im Moment der Geburt: Um die Position der Himmelskörper bezüglich des Horizont-Systems präziser fassen zu können, teilen Astrologen die Ekliptik, ausgehend vom Aszendenten, nach bestimmten Methoden in 12 Teile - analog den am Frühlingspunkt beginnenden 12 Abschnitten, den Tierkreiszeichen -, die man "Felder" oder "Häuser" nennt. Sie sind in der Abb. mit den Zahlen 1 bis 12 gekennzeichnet *30. Schließlich bilden alle Himmelskörper und Bezugspunkte in der Ebene der Ekliptik paarweise einen Winkel miteinander. Solche Winkel, die im Rahmen einer tolerierten Ungenauigkeit ("Orbis" genannt) der Teilung des Kreises durch ganze Zahlen entsprechen (also Winkelgrade von 180, 120, 90, 72 usw.), werden von Astrologen als "bedeutsam" erachtet. Sie heißen "Aspekte" und werden in der Zeichnung durch eine Verbindungslinie zwischen den beteiligten Deutungselementen gekennzeichnet.
Die Zeichnung in Abb. 1, das "Horoskop", ist
ein "objektives" Abbild der kosmischen Situation
in unserem Sonnensystem für einen bestimmten Moment.
Es beinhaltet keine Interpretation, sondern nur eine
Entscheidung über die Wahl der Koordinaten-Systeme
für die Eintragung der beobachteten oder errechneten
Positionen der Gestirne und anderen astronomischen
Bezugspunkte. Diese Koordinaten-Systeme sind, physikalisch
betrachtet, alle "gleichberechtigt". Unterschiedliche
Auffassungen könnte es allerdings darüber
geben (und gibt es auch unter den Astrologen), welche
astronomischen Gegebenheiten (Gestirne, Aufgangs- und
Kulminationspunkt, Winkel, Raumteilungen usw.) für
die Deutung relevant sind. Die Berechnung der jeweiligen
Deutungselemente ist eindeutig; nicht eindeutig ist
die Frage, ob sie etwas bedeuten und was sie bedeuten.
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