Dr. Peter Niehenke:
Ein ganzheitliches Verständnis des Menschen
Kritische Würdigung des Beitrags der Astrologie
Vortrag anläßlich des Jubiläumskongresses "50 Jahre DAV" 1997 in Heidelberg unter dem Motto: "Astrologische Perspektiven für ein ganzheitliches Verstehen des Menschen"
Wenn wir etwas ausssprechen, entwerten wir es seltsam.
Wir glauben, in die Tiefe der Abgründe hinabgetaucht zu sein,
und wenn wir wieder an die Oberfläche kommen,
gleicht der Wassertropfen an unseren bleichen Fingerspitzen
nicht mehr dem Meere, dem er entstammt.
Wir wähnen eine Schatzgrube wunderbarer Schätze entdeckt zu
haben,
und wenn wir wieder ans Tageslicht kommen,
haben wir nur falsche Steine und Glasscherben mitgebracht;
und trotzdem schimmert der Schatz im Finstern unverändert.
Maeterlinck
Sie kennen vermutlich alle das Gefühl, aus einem Traum aufzuwachen und zu
spüren, wie sich der Inhalt des Traumes Ihrem Zugriff entzieht. Nicht
jeder Traum ist so: Manche Träume sind beeindruckend "realistisch",
auch wenn sie selbst dann noch wie Filme wirken, bei denen die "Zensur" dazu
führte, daß nach dem Schneiden gewisse Brüche im
Handlungsablauf vorhanden sind. Doch es gibt Träume, da spürt man
während des Erwachens, wie bei dem Versuch, den Inhalt des Traumes
festzuhalten, ihn ins Wachbewußtsein hinüber zu bringen, etwas
zwischen den Fingern zerrinnt, für das es keine Worte gibt - vielleicht
auch, weil es dafür keine Worte gibt. Wenn wir den Traum
dann erzählen, spüren wir deutlich, daß etwas fehlt. Selbst
vieles von dem, was wir erinnern, können wir nur unzulänglich
in Worte fassen: eine Schwingung in uns, eine Atmosphäre, ein bestimmter
Geruch oder Geschmack, eine unwirklich klingende Melodie. Sogar die konkret
anmutenden Abläufe, das, was man als Handlung zu erinnern meint,
war im Traum nicht so platt, wie das, was wir nun in Worte fassen
können: die Handlung schien in unserem Gefühl von einer viel
größeren Bedeutungsdichte, jedes Traumelement schien auf so
unendlich viel zu verweisen.
Interessanterweise wird das, was wir nicht in Worte fassen können,
mit der Zeit blasser und zurück bleibt mehr und mehr eine Art Skelett, das
zudem, so ist meine Erfahrung, je öfter wir es erzählen, immer mehr
von Ungereimtheiten und logischen Brüchen gereinigt wird. Und meine
Erfahrung als Therapeut ist, daß meist erst in diesem Stadium
für den Träumer soetwas wie eine Bedeutung des Traumes
zugänglich wird, daß er erst in diesem Stadium beginnt, seinen Traum
zu verstehen.
Aber was bedeutet es, einen Traum zu verstehen?
Meine sehr verehrten Damen und Herren
Liebe Kolleginnen und Kollegen
Ich kann Ihnen versichern: Ich weiß nicht, wovon ich rede - und das macht
die Sache auch für mich sehr spannend. Ich muß sogleich einen Satz
hinzufügen, da ich mit Ironie in meinen Vorträgen schlechte
Erfahrungen gemacht habe. Offensichtlich kennzeichne ich sie nicht deutlich
genug. Aber wie sollte ich auch, wo das Ironische doch fließend in das
übergeht, das ich wirklich meine.
Ich bin auf der Suche nach etwas. Ich möchte heute zu Ihnen über
etwas sprechen, daß ich nicht kenne (oder noch nicht kenne,
vielleicht) und von dem ich nicht weiß, ob es existiert: Es ist das,
worauf wir uns beziehen, wenn wir über Menschen sagen, wir verstehen sie.
Nennen wir es: Das Wesen des Menschen.
Ich wäre nicht so unbescheiden gewesen, mir für einen
40minütigen Vortrag ein solches Ziel zu stecken, wenn das Motto dieses
Kongresses und mein an dieses Motto angelehnte Vortragsthema mich nicht dazu
zwingen würden: Wie soll ich den Beitrag der Astrologie zu einem
ganzheitlichen Verständnis des Menschen würdigen, wenn ich nicht
weiß, was ich unter einem ganzheitlichen Verständnis des Menschen
verstehen soll?
Ja, in der Tat: Ich wollte anfangs einen vermutlich absolut langweiligen
Vortrag halten und der Astrologie eine Note geben (natürlich eine
gute, schließlich haben wir Jubiläum), eine Note für das, was
sie Wertvolles beiträgt zu einem ganzheitlichen Verständnis des
Menschen. Am Anfang dachte ich auch wirklich, ich wisse es (in etwa ...). Doch
als ich zu formulieren begann, wurde ich mehr und mehr zu einem Suchenden:
Zusammenhänge, die mir klar erschienen waren, wollten sich nicht in klare
Sprache fügen. Was sollte ich tun? Die Programmhefte waren gedruckt
und mein Thema stand somit fest.
Da der DAV jetzt immerhin 50 Jahre alt wird, und ich in zwei Jahren ebenfalls
50 Jahre alt werde, und da ich ja auch nicht Vorsitzender des DAV bin und
somit der Pflicht, den DAV und die Astrologie vor Unbill zu bewahren, nicht
unterliege, entschied ich mich, in einer Art Experiment, mich auf meine
Unwissenheit einfach mal einzulassen. Mehr noch: Ich entschied mich, Sie an
meinen Gedanken teilhaben zu lassen, bevor sie kristallisiert sind, wie
das Skelett eines Traumes, meine Gedanken in einer Form zu belassen, in der die
logischen Brücken zwischen den einzelnen Clustern noch brüchig sind
und damit verräterisch , wie es Assoziationen nun mal sind. Und ich
entschied mich, mich Ihnen damit anzuvertrauen.
Am meisten Angst habe ich dabei, um ehrlich zu sein, vor Ihrer Zustimmung.
Warum? - Nun, ich will es am schlimmstmöglichen Fall demonstrieren:
"Endlich, Herr Niehenke, haben Sie eingesehen, daß Ihr
rational-wissenschaftlicher Zugang unangemessen ist."
Wir werden sehen.
Erlauben Sie mir, Ihnen zu Beginn einen unanständigen Witz zu
erzählen. Er wurde im Samstagsabend-Familien-Programm der ARD erzählt
und soll von einem 12jährigen Jungen eingeschickt worden sein, und selbst
Bayern hat sich nicht aus dem gemeinsamen Programm der ARD ausgeklinkt, wie es
das ja zuweilen bei moralisch problematischen Sendungen zu tun pflegt: Ich
meine, daß der Witz daher als "unbedenklich" gelten kann. Sicherheitshalber
möchte ich auch den möglicherweise aufkommenden Verdacht zerstreuen, ich
würde diesen Witz nur erzählen, um Sie zu erheitern . Ich weise Sie
deshalb darauf hin, daß er ein grundlegendes erkenntnistheoretisches
Problem treffend veranschaulicht ...
Fritzchen geht mit seiner Mama am FKK-Strand spazieren.
"Mama", fragt er, "warum haben denn manche Frauen einen größeren
Busen als andere?"
"Je reicher eine Frau ist, umso größer ist der Busen", erklärt
die Mama.
"Und warum haben manche Männer einen größeren Piepmatz als
andere?"
"Je schlauer ein Mann ist", erklärt die Mama, "umso größer ist
ihr Piepmatz."
Nach einer Weile kommt Fritzchen zur Mama gelaufen, die sich in der Sonne
räkelt, und berichtet ihr:
"Mama: Der Papa liegt da hinten mit einer ganz reichen Frau und wird immer
schlauer."
Es ist faszinierend zu beobachten, wie Kinder mit sog. Erklärungen
umgehen, also mit Antworten der Erwachsenen auf ihre Warum-Fragen.
"Papa", fragt der griechische Knabe seinen Vater, "woher kommen die Blitze bei
einem Gewitter?"
"Das sind die Pfeile des Gottes Zeus", antwortet der Vater, "er wirft sie, wenn
er zornig ist." Und in aller Regel gibt sich der Knabe mit dieser Antwort
zufrieden und gibt sie später seinem Sohn weiter.
Dreitausend Jahre später antwortet ein Nachfahre auf die gleiche Frage
seines Sohnes:
"Das sind elektrische Entladungen, mein Junge. Du hast bestimmt schon einmal
Blitze an den Oberleitungen von Eisenbahnzügen oder Straßenbahnen
gesehen. Auch das sind elektrische Entladungen."
Auch hier gibt sich der Knabe vermutlich mit der Antwort zufrieden, obwohl ich
bezweifle, daß der Papa selbst in einem dieser beiden Fälle
seine eigene Erklärung verstanden hat. Mag sein, daß
der Papa elektrische Entladungen von seiner Arbeit her kennt, mag sein,
daß er ihre Stärke sogar berechnen kann, aber ob er
versteht, was Elektrizität ist?
"Papa, warum haben manche Menschen so viel Glück im Leben und warum geht
es anderen Menschen so schlecht?"
"Wenn jemand in seinem vorherigen Leben Böses getan hat, dann geht es ihm
in diesem Leben schlecht. Du kannst Dir das so vorstellen, daß er in
seinem letzten Leben Schulden gemacht hat, und die muß er in diesem Leben
abbezahlen."
Jesus soll gesagt haben: "Wenn ihr nicht werdet wie die Kinder, könnt ihr
in das Himmelreich nicht eingehen. "
Wie wahr!
Was bedeutet es, etwas zu verstehen?
Obwohl es reizvoll für mich wäre, dieser Frage anhand meines zuletzt
gegebenen Beispiels einer "Erklärung" nachzugehen, werde ich dieser
Versuchung widerstehen, um der Gefahr eines zu großen Umwegs bei meiner
Suche nach dem "Wesen" des Menschen zu entgehen.
Nehmen wir also lieber ein anschaulicheres Beispiel. Es hat den
Vorteil, weniger Emotionen aufzurühren und weniger kontrovers zu
sein. Das ist aber leider auch sein Nachteil.
Das Bohr'sche Atommodell
Die Frage, woraus die materielle Welt im letzten denn nun bestehe, hat nicht
nur die Philosophen seit der Antike bewegt, sie bewegt, wie ich aus eigener
Erfahrung und auch Erinnerung weiß, schon manche Schulkinder. Sie
bewegte auch mich als 14jährigen Schüler sehr, der erstmals im
Chemieunterricht mit dem Periodischen System der Elemente und dem sog.
Bohr'schen Atommodell in Kontakt kam. Ich weiß noch sehr genau, wie ich
damals, sehr erregt, meinen Chemielehrer im Anschluß an die
Unterrichtsstunde fragte, woraus denn nun die Protonen und Elektronen
selbst bestehen würden, nachdem er uns erklärt hatte,
daß alle Stoffe, die wir kennen, aus Atomen und diese wiederum aus
Protonen, Neutronen und Elektronen bestünden. Die Frage war ja
naheliegend. Mein Chemielehrer damals konnte es mir aber dennoch nicht
erklären: Er sagte, diese Teilchen seien aus "Urstoff" (und ich
spürte, daß da etwas nicht stimmen konnte).
Heute finden die Physiker immer mehr immer kleinere Teilchen, aus denen die
Òkleinsten Teilchen" der Materie wiederum bestehen. Aber wie klein die
Teilchen auch immer werden: Auch sie müssen doch, so unsere Vorstellung,
aus irgendeinem Stoff bestehen. Alle Schüler, die darauf angewiesen sind,
sich etwas vorzustellen, die "Anschaulichkeit" benötigen, um etwas in sich
aufnehmen, etwas lernen zu können, kommen an dieser Stelle in
große Schwierigkeiten. Die Frage, aus welchem Stoff denn nun die wirklich
kleinsten Teilchen der Materie bestünden, läßt sich
nämlich nicht beantworten, weil sie, so merkwürdig dies jetzt klingen
mag, von einer falschen Voraussetzung ausgeht:
Sie geht von der Voraussetzung aus, daß Elementarteilchen "im Kleinen"
etwas Ähnliches sind wie vielleicht ein Sandkorn "im Großen",
daß sie also z. B. eine bestimmte Größe haben und sich an
einem bestimmten Ort aufhalten, wie dies für jedes materielle Objekt gilt.
Tatsache aber ist, daß im Bereich der Elementarteilchen die Vorstellung
von einem begrenzten Stück "Materie" an einem bestimmten "Ort" keinen
Sinn macht.
Das macht sich in der Sprache der Physiker bemerkbar, die vom Elektron sagen,
seine Masse sei über seine ganze Bahn "verschmiert". (Das eine
Elektron ist also an allen Stellen seiner Bahn gleichzeitig.) Das macht
in unserer Vorstellung (von einem Materieteilchen) keinen Sinn.
Vielleicht kommen wir weiter, wenn wir ein anderes Modell zur Hilfe
nehmen: Denken Sie einmal an eine Schallwelle. Die ist auch nicht an einem
bestimmten Ort sondern überall im Raum gleichzeitig. Ein Ton ist im ganzen
Raum. So oder so ähnlich ist das auch mit der Materie: Im
"Größen"-bereich der Elementarteilchen verhält sich Materie,
als wäre sie etwas wie ein Ton, genauer: wie eine Welle. (Eine Welle ist
überall.)
Der Physiker spricht vom Welle-Teilchen-Dualismus der Materie und, analog zu
den Lichtwellen, von Materiewellen. Materie verhält sich
eben zum einen Teil so, als bestünde sie aus Teilchen (mit einer
bestimmten Masse und einem bestimmten Ort), zum anderen Teil
(korrekterweise müßte man sagen: in einer anderen Art von
physikalischen Messungen bzw. Experimenten), als wäre sie eine
Wellenerscheinung.
Wenn Sie Materie immer weiter teilen, dann stoßen Sie also nicht auf
Atome, auch nicht auf Elementarteilchen, auch nicht auf den "Urstoff" meines
Chemielehrers: Sie stoßen auf etwas "Immaterielles", nämlich auf
elektromagnetische Schwingungen (Wärme, Licht, Röntgenstrahlen - je nach
Wellenlänge). Licht, also eine Welle, ist direkt in Materie verwandelbar:
Bestimmte Elementarteilchen können aus energiereicher Strahlung (wie Licht
eine ist) spontan "entstehen" und sich, umgekehrt, auch wieder in Licht
verwandeln .
Lassen Sie mich den Verfasser eines Physik-Lehrbuchs für Gymnasiasten,
Oskar Höfling, zitieren:
"Man vergaß, daß das anschauliche Bohrsche Atommodell mit seinen
Elektronenbahnen nicht als ein Abbild der Wirklichkeit gewertet werden durfte,
sondern daß es sich um eine Gedankenkonstruktion der Physiker handelte.
Das Bohrsche Atommodell erfreute sich besonderer Beliebtheit, weil es dem
menschlichen Bedürfnis nach Anschaulichkeit der Modellvorstellungen von
der Natur in hohem Maße gerecht wurde. Besonders anschaulich
erscheinen uns nämlich die Vorgänge der Mechanik. Die
Zurückführung aller Erscheinungen auf mechanische Modelle war das
erstrebte Endziel der klassischen physikalischen Forschung.
Wir haben früher darauf hingewiesen, daß die mechanischen
Modellbetrachtungen große Fortschritte für die Naturerkenntnis
gebracht haben. Wir haben aber auch erkannt, daß diese Modelle nicht das
Wesen der durch sie dargestellten Erscheinungen sind, sondern daß es sich
um Hilfsmittel handelt, die es erleichtern, gedankliche und rechnerische
Überlegungen anzustellen.
Am Beispiel des Lichts haben wir früher erkannt, daß es bisweilen
zur vollständigen Erfassung einer Erscheinung notwendig ist, nebeneinander
verschiedene Modelle (beim Licht: Welle und Teilchen) zu verwenden, die
für das menschliche Anschauungsvermögen nicht miteinander vereinbar
sind. Wir mußten uns mit der Tatsache abfinden, daß Licht
weder einer Wellenbewegung noch ein Strom von Teilchen ist, sondern etwas,
das sich der anschaulichen Beschreibung durch den menschlichen Geist
entzieht
und sich bisweilen so verhält wie eine Welle und ein anderes Mal wie ein
Teilchen."
Aus diesem Zitat wird deutlich, daß Physiker nicht angeben können,
was Materie ist. Sie machen sich möglichst anschauliche Modelle von
Vorgängen in der Natur, und solange die Meßergebnisse im Einklang
mit diesen Modellvorstellungen stehen, gilt dieses Modell
vorläufig als "richtig".
Verzeihn Sie mir bitte, daß ich sie so lange mit Physik gelangweilt habe.
So abstrakt diese Gedanken für viele von Ihnen erscheinen mögen: Sie
sollten etwas noch viel Abstrakteres veranschaulichen:
Wenn wir etwas verstanden haben (ich sollte besser sagen: verstanden zu
haben meinen), dann ist das immer, wie jetzt vielleicht ein wenig deutlich
geworden ist, zugleich eine Erweiterung wie auch eine Verengung
unserer Horizonts. So paradox es klingt: Etwas zu verstehen verengt
auch unseres Horizont! Mit jedem Verstehen grenzen wir ein Phänomen immer
auch ein (auf das "Verstehbare", auf den heute und durch uns
"verstehbaren Teil" des Phänomens).
Viele von uns werfen den Wissenschaften gern vor, sie seien "reduktionistisch"
und wir stellen einem solch "reduktionistischen Verständnis" des Menschen
anläßlich dieses Kongresses ein "ganzheitliches Verständnis"
des Menschen gegenüber. Wir sehen dabei nicht:
Jedes "Verstehen" ist immer reduktionistisch.
Verzeihen Sie mir bitte diesen kleinen Gedankensprung, aber: vielleicht wird
auch Ihnen aus diesem Grunde das Gebot: "Du sollst Dir kein Bildnis
machen", verständlich.
"Ach wie schön, daß niemand weiß, daß ich
Rumpelstielzchen heiß!"
Ich möchte einen Satz von Höfling noch einmal wiederholen: "Licht
(und dies gilt auch für Materie) ist etwas, das sich der anschaulichen
Beschreibung durch den menschlichen Geist entzieht."
Licht und Materie sind wirklich elementare Kategorien, nicht
komplexe selbstorganisierende Systeme, wie es jeder noch so einfache Organismus
ist. Dieses Elementarste des Elementaren unserer Erfahrung, "Stoff",
"Gegenständlichkeit", entzieht sich der anschaulichen Beschreibung
durch den menschlichen Geist.
Wie weit sind wir dann wohl davon entfernt, Leben zu verstehen und was
könnte es in einem solchen Fall bedeuten, den Menschen zu
verstehen?
Das Horoskop der Klientin
Die Frau, die da vor mir sitzt, wirkt, trotz ihrer 41 Jahre, zart und
mädchenhaft. Ihr dünnes, dunkles Haar geht ihr knapp bis zu den
Schultern. Ihre Kleidung, von betont einfacher Eleganz und in dezenten Farben,
unstreicht wirkungsvoll ihre mädchenhafte Erscheinung. Ihre
grün-braunen Augen sehen mich freundlich an und sie spricht mit zarter
Stimme - und sie stimmt mir verdächtig oft einfach zu ...
Die meisten meiner Klienten setzen sich auf den langen Teil der Sitzecke in
meinem Praxisraum, dem schwebend leicht wirkenden Ledersessel direkt
gegenüber, den sie für den meinen halten. Obwohl ich den
Klienten freie Wahl des Sitzplatzes lasse, wenn ich sie hineinführe in den
Praxisraum, wählen nur sehr wenige diesen bequemen Ledersessel. -
Sie hat sich auf den kurzen Teil der Sitzecke gesetzt und sitzt mir
daher nicht gegenüber sondern sitzt seitlich zu mir. Das
paßt zu ihr.
Erste Evidenzerlebnisse: Aszendent und Mond im Wassermann und die Sonne in der
Waage kann ich gut mit ihr verbinden. Ich habe allerdings einige Mühe, mit
diesem zarten Wesen eine dominante Mond-Pluto-Opposition in Verbindung zu
bringen, und außerdem würde es mir leichter fallen, sie mir als
Augenärztin vorzustellen als ausgerechnet als Fachärztin für
Psychiatrie. Ich bin ja selbst Psychotherapeut und zu meiner Ausbildung
gehörten Praktika in therapeutisch relevanten Institutionen. Ich habe, um
ehrlich zu sein, ein Praktikum in der Psychiatrie immer vermieden. Sie
erläutert mir, daß sie niemals in einer freien Praxis arbeiten
könne, wie ich das tue, da die lächerlichen Probleme der
üblichen Neurotiker sie einfach langweilen würden. Ich verstehe ...
Erlauben Sie mir, verehrte Hörerinnen und Hörer, Ihnen einen kurzen
Ausschnitt aus dem Beratungsgespräch zu zitieren. Ich sollte noch
erwähnen, daß die Klientin mich gebeten hatte, die Konstellationen
explizit zu nennen, auf die ich mich beziehe, damit sie später,
wenn sie mal mehr von der Astrologie verstehen sollte, meine Deutungen
nachvollziehen könne. Es ist eigentlich nicht meine Art, Klienten mit
Fachchinesisch zu langweilen oder zu verwirren, wie es in diesem Ausschnitt
aber den Anschein haben könnte. - Der Gesprächsausschnitt ist
übrigens mitten aus der beinahe dreistündigen Sitzung
herausgegriffen:
"Sie haben eine Konjunktion von Saturn und Venus - und dazu fallen mir
Begriffspaare ein wie traurig-schön oder schön-traurig, aber, da
diese Konjunktion sich in Ihrem 8. Feld befindet, auch
schauderhaft-schön oder eben, schön-schauderhaft. Ich denke, da gibt
es so eine Mischung: irgendwie ist das Grauen, oder was andere als Grauen
empfinden, das ist irgendwie auch mit Lust verknüpft."
Sie schaut mich fragend an. - Also formuliere ich es auf andere Weise:
"Sie suchen die Konfrontation mit dem, was andere Menschen schaudern
läßt. - Es ist zwar auch für Sie schaudern, aber es ist
nicht unlustbetont . Der Schauder - und vielleicht sogar dieses
Schaudern angesichts ... des Todes - der hat einen angenehmen Aspekt für
Sie."
Diese Formulierung greift besser: "Ja", sagt sie, "der hat etwas
Ästhetisches, Intensität und Ästhetik."
"Ja, genau, das dachte ich", antworte ich, "Und dann dachte ich: Ja, aber der
Saturn bedeutet auch Angst - besonders mit diesem Quadrat zu Mars. Ich denke,
daß sie den Tod einerseits als im Einklang mit der Natur erleben,
andererseits aber haben Sie auch Angst: Angst vor der Hingabe. Vor der
Hingabe an den Tod und an das Leben, also an beides. In anderen Worten:
Sie sehnen sich (mit Sonne - Neptun) zwar nach Verschmelzung mit der
Natur, mit dem Kosmos - aber nicht mit Menschen. Sie haben Angst vor
der Verschmelzung mit einem Menschen."
"Ja, wo es mir zu konkret wird", antwortet sie.
Ich versuche, die Thematik weiterzutreiben und noch etwas zu vertiefen:
"Ich habe so das Gefühl, die Venus im 8. Feld, das ist die Lust daran,
total zu verschmelzen und der Saturn wird gleichzeitig wach mit seiner
warnenden Stimme - und so könnte ich mir vorstellen, daß Sie
konkret schon durch die Partnerwahl sicherstellen, daß diese
Verschmelzung nie total sein kann. Sie bauen sozusagen eine Notbremse schon von
vornherein ein und dann, sozusagen mit doppeltem Boden, dann lassen Sie sich
fallen in diese Verschmelzung. Sie sind ja, wie Sie im Vorgespräch sagten,
sehr leidenschaftlich dann, aber dieses Fallen - dieses Fallen geschieht mit
dem Hintergedanken: da ist ein Netz, und wenn ich es nicht schaffen sollte zu
stoppen, dann falle ich nie ganz durch."
"Ja, das fängt mich auf", sagt sie, "das ist so eine Art Sicherheit."
"Ich habe so das Gefühl", ergänze ich noch, "das ist so eine
unbewußte Kontrolle dagegen, daß Sie sich dabei verlieren
könnten."
Sie nickt.
"Sehen Sie", erläutere ich nun, "so schaffen Sie dann beides: Sie machen
so eine zeitlich befristete Verschmelzung. Sie sind so wie jemand, der
einen Kuchen in den Ofen schiebt und die Uhr stellt, und sie wissen: irgendwann
ist die vorgegebene Zeit zuende und dann stellt sich das Ding automatisch ab. -
Sie bauen so eine Art Zeitschaltuhr ein durch die Art der Wahl Ihrer
Partner, indem Sie z. B. verheiratete Männer wählen. Sie stellen
auf diese Weise sicher, daß ein solcher Mann gar nicht die
Möglichkeit hat, auf Dauer mit Ihnen zu verschmelzen, und so haben
Sie eine Mischung : Sie haben eine temporäre Verschmelzung
mit Rückversicherung, Rückversicherung, daß es ein Ende
hat."
Sie stimmt zu.
"Aber Sie wollen auf das Erlebnis des Verschmelzens auch nicht
verzichten. Und ich frage mich: Was ist denn das, wovor Sie dabei Angst
haben? Da es eine Jungfrau-Venus ist, dachte ich: Es ist die Angst vor
Kontrollverlust. Sie wollen die Kontrolle nicht verlieren. - Das würde
auch zu dem Quadrat von Mars und Saturn passen."
Sie nickt erneut und ich fahre fort:
"Ich dachte noch einmal an die Psychiatrie, bei dieser Venus-Saturn-Geschichte:
Ich habe gedacht, daß Sie vielleicht bei Verfall - vielleicht in der
Natur - daß Sie in Verfallserscheinungen auch Schönheit sehen
können, daß bestimmte Bilder von Verfall (vielleicht verfallenen
Burgen oder verfallenen Räumen oder Verfallsstrukturen), daß Verfall
also etwas sein kann, dem Sie eine Äthetik abgewinnen können."
Sie nickt, aber Ihre Zustimmung genügt mir in diesem Fall nicht. Es
ist mir zu abstrakt, was ich da gesagt habe - und ich will mich
rückversichern, weil die Klientin einfach zu viel zustimmt.
Ich frage also:
"Wie äußert sich das denn bei Ihnen? Wo konkretisiert es
sich? Sind es mehr Naturverfallserscheinungen oder bezieht es sich auch auf
Bauwerke? Was spricht sie besonders an? Vielleicht auch Verfall bei Menschen?
Ich hatte so gedacht: Immerhin arbeiten Sie in der Psychiatrie?"
Und dann kommt einer der Momente in Beratungen, die mich immer wieder erneut
tief bewegen: Wenn eine Deutung, deren Zutreffen nicht direkt zu erwarten war,
auf solche Zustimmung trifft.
"Überall, überall", sagt sie. "Ich mache sehr gerne
Geronto-Psychiatrie, also ich mag sehr gerne alte Menschen, bei denen
man so sehen kann, wie die Zeit ihre Spuren hinterlassen hat."
"So hatte ich es gemeint", falle ich ihr ins Wort, und kann den Anflug von
Begeisterung nicht verbergen, "das ist so eine Sensiblität für diese
- wie soll ich es nur ausdrücken? ... für diese eigenartige
Ästhetik des Verwelkens."
"Ich finde das ganz toll , wie Sie das ausdrücken", sagt sie
anerkennend, "ja, das andere langweilt mich eher."
"Ja", versuche ich zu konkretisieren, "wenn es so ganz glatt, so einfach nur
schön, jugendlich frisch ist."
"Ja", sagt sie, "das ist noch gar kein Leben, da ist noch nichts Besonderes
drin, nichts gewachsen."
"Merkwürdig", werde ich nun nachdenklich, "Leben kommt
für Sie in die Sache eigentlich erst durch den Hauch des Todes."
"... Ja", stimmt sie zögernd zu, "obwohl es mir eigentlich um die
Auseinandersetzung geht, die jemand investiert hat. Das macht
eigentlich den Wert aus."
"Ich finde das jetzt ganz spannend", sage ich. "Ich höre Ihnen so zu, wie
Sie diese Formulierung "Hauch des Todes" etwas relativieren, und denke bei mir:
Es spricht eben immer der ganze Mensch. Sie hätten das vermutlich
anders formuliert, wenn Sie nur diese Venus-Saturn-Konjunktion im
achten Feld hätten, aber Sie haben es eben mit Ihrem Jupiter am
Aszendenten formuliert. Sie bringen damit soetwas Schützehaftes hinein,
etwas im Zusammenhang mit Werten. Sie geben dem sofort auch eine "Bedeutung",
so eine Lebensbedeutung - mir fällt jetzt nicht die wirkliche treffende
Formulierung ein: vielleicht 'vitale Bedeutung', ja, jetzt hab ich es: Eine
vitale Bedeutung. Es ist fast so, wie wenn Sie den Tod
vitalisieren würden. Wie wenn Sie sagen würden: Der Tod ist
eine Lebenskraft. - Auf jeden Fall etwas Paradoxes, eine paradoxe
Formulierung, so empfinde ich das."
"So empfinde ich auch den Tod", sagt die Klientin zustimmend.
"Ja, genau. Da spüre ich jetzt dieses Trigon von dem Saturn in 8 zu
Jupiter am Schütze-Aszendenten: der Tod bringt Sinn ins Leben."
"Ja", stimmt sie entschieden zu, "das ist richtig. Ohne den Tod ist
überhaupt kein Sinn im Leben."
Welch ein Satz.
Es ist ein immer wieder tief bewegendes Erlebnis, wenn ein Klient sich in
unseren Beschreibungen, die wir aus seinem Geburtsbild ableiten, erkennt, wenn
er uns deutlich macht, daß er sich in seinem Wesen (zumindest in
bedeutsamen Facetten dieses Wesens) verstanden fühlt.
Sie können daher sicher meine Scheu nachfühlen, mich diesem
berührenden Erlebnis mit dem kühlen Instrumentarium des
analysierenden Verstandes zu nähern. Es ist aber, wie auch im Falle der
therapeutischen Arbeit mit einem Traum, wichtig, sich immer wieder erneut daran
zu erinnern, daß nicht nur die Wahrnehmung (im Sinne von
Bewußt-Machung) eines Traumes , sondern das jede
Wahrnehmung nur durch Weglassen, durch "Filtern", durch Konzentration auf
"Typisches" möglich ist. Wie wollten Sie sonst in einem Gewirr von Stimmen
auf einer Party die Stimme Ihres Gesprächspartners verstehen. - Meine
Scheu darf mich also nicht daran hindern, mir bewußt zu machen, was in
der Interaktion zwischen mir und meiner Klientin passiert ist.
Ich frage mich also: Was ist eigentlich in diesem bewegenden Ausschnitt aus
einem meiner Beratungsgespräche anderes passiert, als daß ich der
Klientin gesagt habe: "Sie haben eine große Nase!" und die
Klientin ihre Nase fühlte und geantwortet hat: "In der Tat: Ich
habe eine große Nase!" Dabei will ich einmal dahingestellt sein lassen,
ob meine Möglichkeiten als Astrologe, festzustellen, von welcher Form ihre
Nase ist, verläßlich sind: In diesem Vortrag von mir geht es
ausnahmsweise ja nicht um die Frage, ob man die Richtigkeit der
astrologischen Regeln beweisen kann, sondern um die Frage, ob Astrologie
eine Hilfe sein kann, sich selbst besser zu verstehen oder gar "das Wesen des
Menschen"_allgemein umfassender (ganzheitlicher) zu verstehen.
Ich habe der Klientin doch eigentlich nur Motive offengelegt, die sie als die
ihren erkannte (zumindest überwiegend), habe ihr bestimmte Eigenschaften
zugeschrieben, mit denen sie sich auch identifizieren konnte.
Ohne Zweifel: Es ist faszinierend, daß dies, abgeleitet aus ihrem
Geburtsbild, überhaupt möglich war. Und möglicherweise
besteht ein großer Teil der Faszination und Begeisterung unserer Klienten
nicht so sehr darin, was wir ihnen sagen, als darin, daß
wir ihnen soetwas überhaupt auf der Grundlage des Geburtsbildet sagen
können.
Zuweilen habe ich bei Beratungen genau diesen Eindruck: Die Klienten haben eine
beinahe kindliche Freude, wenn ich ihnen ihr Wesen treffend beschreibe - auch
dann, wenn ich Ihnen gar nichts Neues sage, wenn sie das, was ich
sage, im Prinzip schon wußten. Sie freuen sich einfach darüber,
daß es funktioniert, darüber, daß Astrologie
funktioniert.
Ostern 1984 stellte ich am zweiten Astrologie-Weltkongreß in Luzern Teile
der Resultate meiner Dissertation vor. Es waren im Sinne der Astrologie
vollständig negative Resultate. Zum Abschluß meines Vortrags
formulierte ich:
"Ich kann in jedem Fall in Zukunft nicht mehr sagen: "Menschen mit
Sonne-Saturn-Quadrat neigen zu Depressionen" - und ich kann eine ganze Reihe
anderer Sätze dieser Art, die zuhauf in astrologischen Lehrbüchern
stehen, nicht mehr sagen, zumindest nicht mehr mit Recht! Und wenn jemand
behauptet, er könne es noch mit Recht sagen, dann möchte ich gern
erklärt haben, mit welchem Recht, worauf er sich stützt. Und
wenn er behauptet, es sei halt seine Erfahrung, dann ist zu fragen, ob
er diese Erfahrung auch einer kritischen Überprüfung unterzogen hat
und zu unterziehen in der Lage ist. Andernfalls wird Astrologie zu einer Art
Religion, zu einer Sache des Glaubens! - Aber warum nicht!
Um die Astrologie und um ihren Fortbestand auch bei noch mehr negativen
Resultaten braucht man sich aber sicher keine Sorgen zu machen. Eine Welt, in
der Astrologie wahr ist, ist allemal eine schönere Welt als eine, in der
Astrologie nicht existiert. Und dieses Gefühl, sinnvoll in ein
kosmisches Ganzes eingebettet zu sein, vermittelt ein "himmlisches
Geborgenheitsgefühl" - und darauf zu verzichten, fällt sicher gerade
uns heutigen Menschen besonders schwer. Das Bedürfnis, daß
Astrologie wahr sei, ist also viel stärker als alle rationalen
Gegenbeweise, dessen bin ich sicher - und das gilt, mindestens im Moment, auch
für mich!"
Diese Sätze habe ich damals sehr ironisch (natürlich vor allem auch
selbstironisch) gemeint - aber, wie ich zu Beginn schon sagte: Ich habe keine
guten Erfahrungen mit Ironie in meinen Vorträgen. Am folgenden Tag las ich
in einer Schweizer Zeitung sinngemäß: "Und so tröstet sich Herr
Niehenke, Präsident des Deutschen Astrologen-Verbandes, über die
negativen Resultate astrologischer Studien hinweg."
Damals konnte ich diese Sätze mit Ironie sagen, weil ich gar nicht
absehen konnte, wie wahr sie sind. Wenn ich die Freude meiner Klienten
und meine eigene Freude sehe, unser gemeinsames Staunen, dann ist mir nicht
mehr nach Ironie.
Ich erinnere mich noch an die ungeheure Faszination, die die Gedanken Sigmund
Freuds in den 50er und 60er Jahren speziell bei den sog. Intellektuellen
auslöste. Ich denke, daß eine Quelle dieser Faszination war,
daß Freud ein Modell anbot, uns in unseren Motiven, emotionalen
Reaktionen und unseren Träumen zu verstehen.
Viele akademischen Psychologen sehen heute in der Psychoanalyse nur noch "eine
spezielle Form des Aberglaubens", weil die komplexen Konzepte der Psychoanalyse
sich in wissenschaftlichen Tests genau so wenig verifizieren lassen wie wir es
von unserer Astrologie her ja kennen und wie es ja auch für die
Homöopathie gilt, um ein weiteres Beispiel zu nennen.
Wie die Entwicklung der Systemtheorie im Bereich der Biologie, aber auch
Entwicklungen wie die sog. "Fuzzy-Logik" zeigen, müssen wir vielleicht von
einem bisher für unverzichtbar gehaltenen wissenschaftlichen Ideal
Abschied nehmen, wenn wir komplexe Zusammenhänge beschreiben wollen: der
Eindeutigkeit. An genau diesem Ideal scheitern all die Studien
zur Astrologie, Psychoanalyse oder Homöopathie.
Selbstverständlich ist dieses Scheitern nicht der Grund, warum wir
ein so grundlegendes wissenschaftliches Ideal in Frage stellen - das
würdeja bedeuten, daß wir die Methoden so lange aufweichen bis wir
die Ergebnisse erzielen können, die wir suchen. Nein: In
vielen Wissensbereichen zeigt sich, daß hier ein
wissenschaftliches Ideal an seine Grenzen stößt.
Schon immer gab es, neben der Wissenschaft, die "Wahrheit" sucht, die Kunst,
die die Menschen bewegt (und, so könnte man sagen, eine andere
Facette dessen, was Wahrheit bedeutet, sucht).
Wenn wir Astrologen Menschen nicht mehr "bewegen" können, wird die
Astrologie mit der Zeit ihre Anhänger verlieren, und sie wird aussterben,
wie schon so viele Vorstellungen und Überzeugungen der Menschen
"ausgestorben" sind, sich überlebt haben, darunter viele, die wir
"wissenschaftlich" nennen würden.
Aber die Astrologie "bewegt" die Menschen, Menschen aller Schichten,
immer wieder erneut. Das ist durchaus ein Argument, da sie es schon
Tausende von Jahren tut, viele sog. "abergläubische Systeme" aber gekommen
und gegangen sind. Astrologie blieb.
Könnte sie so beständig Menschen, auch kritische Menschen,
faszinieren, wenn sie nur ein Irrtum und nichts als ein Irrtum wäre?
Ich spreche hier keineswegs, wie man vermuten könnte, der Aufgabe aller
Kriterien der Unterschei-dung von "wahr" und "unwahr", von "richtig" oder
"falsch" das Wort. Ein schlechtesModell unterscheidet sich von einem
guten dadurch, daß die aus diesem Modell abgeleiteten Vorhersagen
nicht eintreffen. Ein "schlechtes" Kunstwerk unterscheidet sich von
einem "guten" nicht dadurch, daß es "falsch" ist (es gibt keine
"falschen" Kunstwerke - es gibt nur Fälschungen der Urheberschaft). Ich
würde sagen: Ein "schlechtes" Kunstwerk setzt sich auf Dauer
zumindest nicht durch, weil es die Menschen nicht "berührt", ihre
Wahrheit, ihr Lebensgefühl nicht trifft.
Der Begriff "Wissenschaft" ist erst einige Jahrhunderte alt.
Der Begriff Kunst ist sehr viel älter und er kommt von Können.
Können hat immer auch etwas mit "Wahrheit" zu tun.
Nachdem die Wissenschaften, speziell die Naturwissenschaften, Jahrhunderte lang
ihre Hauptaufgabe darin sahen und ihre größten Erfolge damit hatten,
das Unbestimmte zu bestimmen, nachdem Jahrhunderte lang das Unbestimmte, das
Un-Wissen als Mangel (Defizienz), Fehler oder als etwas Vorläufiges
angesehen wurde, das durch weitere Forschung in Bestimmtheit, Sicherheit und
Wissen überführt würde, setzt sich auch in den Wissenschaften
mehr und mehr die Erkenntnis durch, daß Unbestimmheit ein Teil des
Wesens natürlicher Phänomene ist.
Sollte Sie mich fragen, was ich mit meinem Vortrag überhaupt sagen wollte,
dann kann ich Ihnen ehrlicherweise nur antworten: Nichts Bestimmtes!
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
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