29. Dezember 2002:
Was das Jahr 2003 bringt, steht nicht in den Sternen
dpa-Interview mit Dr. Peter Niehenke
Hamburg (dpa) - Zum Jahresende haben Prognosen Hochkonjunktur. »Was bringt
das kommende Jahr?« möchte wohl fast jeder gern wissen. Antworten werden bei
unterschiedlichen Adressen gesucht. Die dabei besonders gefragte Astrologie
ist jedenfalls nicht die richtige.
Allein schon weil das in der westlichen Welt benutzte Kalenderjahr
astrologisch - wie ja auch astronomisch - irrelevant ist. Anders als zum Beispiel der
Frühlingsbeginn steht der 1. Januar mit keinem astronomisch bedeutsamen
Sachverhalt in Zusammenhang. Der römische Staatsmann Julius Caesar »erklärte«
diesen Tag, an dem die hohen Beamten der Stadt in ihr Amt eingeführt wurden, zum
Jahresbeginn. Vorher hatte das Jahr in Rom am 1. März begonnen.
Diese Einteilung galt zum Beispiel in Russland noch bis ins 14. Jahrhundert.
In Deutschland wurde bis ins 13. Jahrhundert das Fest der Geburt Jesu,
Weihnachten, als Beginn des Jahres betrachtet. Kaiserliche Urkunden wurden nach
diesem Stil datiert.
Wie der Leiter des Forschungszentrums des Deutschen Astrologen-Verbandes
(DAV, Freiburg), Peter Niehenke, im Gespräch mit der dpa erläuterte, verlaufen
die Bewegungen der Gestirne kontinuierlich - von unseren Zeiteinteilungen
völlig unbeeindruckt. Sie kennen keine speziellen Markierungen. Eine
astrologische Prognose auf das Kalenderjahr zu beziehen, macht also wenig Sinn.
»Der Jahreswechsel ist psychologisch wichtig, nicht astrologisch«, sagt
Niehenke. »Er erinnert uns daran, dass die Zeit vergeht, unsere Lebenszeit. Das
ist der Grund dafür, dass zum Jahreswechsel 'die Zukunft' - eigentlich ist
unser Schicksal, der Lauf unseres Lebens gemeint - in den Focus unserer
Aufmerksamkeit rückt. Wenn ich für eine Person eine Prognose mache, dann meine ich
damit, dass diese Person etwas Bestimmtes erleben wird. Wie aber sollte eine
Prognose für ein Kollektiv möglich sein?«
Entsprechendes gilt auch für die das ganze Jahr hindurch von vielen gern
gelesenen Tierkreis-Wochen-Horoskope in Zeitungen und Zeitschriften. »Schon der
gesunde Menschenverstand müsste deutlich machen, dass doch in einer
bestimmten Woche unmöglich ein Zwölftel aller Menschen in Deutschland, also etwa
sieben Millionen, Analoges erleben wird«, sagt Niehenke.
Was 2003 angeht, so werde auch in diesem Jahr wie in den zurückliegenden ein
Teil der Menschen Erfolg, ein anderer aber Misserfolg haben, würden die
einen ruhig leben, andere aber in Katastrophen verwickelt sein. »Wie alle Jahre
hat auch das Jahr, das vor uns liegt, für jeden einzelnen seine eigene
Qualität. Und was 'es bringt' für jeden von uns, das steht nicht in den Sternen.«
Die moderne Astrologie fasst Planeten, Tierkreis, Konstellationen lediglich
symbolisch auf - als »Zeichenträger«, die von sich aus weder etwas bewirken
noch anzeigen können. Und sie ist gekennzeichnet von einer Abkehr von der
ereignisorientierten, schicksalsbetonten Interpretation des auf die Minute und
den Ort der Geburt des Menschen berechneten Horoskops hin zu einer
charakterologischen, psychologischen Sicht.
Dabei wird von vielen Astrologen auch von einem »Eingebettet-Sein« aller
lebenden Systeme in kosmische Rhythmen ausgegangen. Das Leben des Menschen wird
aber durch diese Rhythmen nicht vollständig bestimmt gesehen. Vor diesem
Hintergrund bekommt das, was schon der Kirchenlehrer Thomas von Aquin im
Mittelalter sagte, eine neue Bedeutung: »Die Sterne machen geneigt, sie zwingen
nicht.«
Nach den kürzlich veröffentlichten Ergebnissen einer DAV-
Fragebogenuntersuchung unter ihren rund 1000 Mitgliedern ist der Schwerpunkt der praktischen
Arbeit die Beratung von einzelnen Personen und Paaren. Klienten sind auch
Eltern, die sich bei Erziehungsproblemen Kinderhoroskope anfertigen lassen. Die
meisten Klienten suchen Hilfe bei Partnerschaftsproblemen (73,5 Prozent).
Weitere Motive für die Ratsuche sind Selbsterkenntnis, Identitätsfindung und
berufliche Fragen. Im Durchschnitt sind 79,5 Prozent der Beratungsklienten Frauen.
Die Gesamtzahl der in Deutschland tätigen Astrologen wird vom
DAV-Vorsitzenden Detlef Hover auf 6000 bis 8000 geschätzt.
In einer Publikation der Evangelischen Zentralstelle für
Weltanschauungsfragen (Berlin) wird zur Astrologie als »Hilfsmittel zum Zweck der
Lebensberatung« kritisch auf eine »Begrenztheit des Horizonts« verwiesen. Astrologisches
Denken müsse sich immer mit einer bestimmten religiösen Überzeugung verbinden,
um wirklich Tiefe und Kraft zu gewinnen, heißt es da. Es wird gefragt, ob
diese Astrologie sich durch ihre Begrenzung nicht selbst überflüssig mache.
Jedenfalls hätten sich zu allen Zeiten viele Menschen »Schicksals-« und
»Lebensbewältigung« auch ohne Horoskope vorstellen können.
26.12.2002 dpa
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