Die zwei grundlegenden Rhythmen der SonnenbewegungJeden Tag erleben wir aufs neue das folgende Schauspiel: Die Sonne geht morgens im Osten auf,
Abbild 1
sie erreicht mittags ihren höchsten Stand,
Abbild 2
und sie geht abends im Westen unter.
Abbild 3
Wenn die Sonne nicht so gleißend hell wäre und die Erde keine Atmosphäre hätte, dann würden wir auch am Tag die jetzt nur in der Nacht sichtbaren Sterne sehen. Wir würden dann sehen, daß die Sonne nicht etwa durch die feststehende Anordnung der Sterne, die wir alle als Sternbilder kennen, hindurchläuft, sondern daß sie mit einem Sternbild fest verbunden scheint. So könnte es z. B. sein, daß wir sie an einem Morgen, beim Aufgang, im Sternbild Skorpion stehen sehen, wie in Abbild 4.
Abbild 4
Und wenn wir den Himmel beobachten, stellen wir fest, daß sich mit der Sonne auch dieses Sternbild am Himmel nach oben bewegt, so daß mittags mit der Sonne auch das Sternbild Skorpion in der Himmelsmitte zu sehen ist (Abbild 5).
Abbild 5
Eine noch genauere Beobachtung des Himmels hätte uns gezeigt, daß auch alle anderen Gestirne, die wir am Himmel sehen können, diese Bewegung mitgemacht haben. Meist fällt uns dieser Wechsel von Aufgang, Kulmination und Untergang nur bei Sonne und Mond auf; dort ist er augenfällig. Wenige bemerken, daß jedes Gestirn diese Bewegung vollführt. Wenn man in klaren Nächten den Himmel über längere Zeit beobachtet, dann scheint es einem, als ob der Himmel eine Kugel wäre, die sich über die Erdoberfläche spannt und die sich beständig von Osten nach Westen dreht. Es ist nicht verwunderlich, daß man bis ins Mittelalter hinein daher der Auffassung war, die Erde sei eine Scheibe und über dieser Scheibe wölbe sich die Himmelskugel. Wir wissen heute, daß diese scheinbare Drehung des Himmelsgewölbes in Wahrheit auf der Drehung der Erde um sich selbst, der Rotation der Erde beruht. Wir wollen uns diesen Sachverhalt noch etwas genauer verdeutlichen. Was heißt es genau, wenn wir sagen: Die Sonne geht auf? Manchmal hören wir im Radio oder lesen auf einem Kalenderblatt: "Sonnenaufgang ist heute, bezogen auf Baden-Baden (oder Köln oder München oder Berlin), um 6.45 Uhr." Die Sonne geht also nicht in ganz Deutschland um 6.45 Uhr auf, sondern nur bezogen auf einen bestimmten Ort. Sonnenaufgang bedeutet: Die Sonne bewegt sich über die Horizontlinie. In Abbild 6 sehen wir, schematisch, was mit dem Horizont gemeint ist. Was hier als Linie gezeichnet ist, müssen Sie sich als Fläche vorstellen (die Horizont-Ebene).
Abbild 6
Durch die Drehung der Erde dreht sich auch die Horizont-Ebene. Wenn der
"obere" Rand der Sonne diese Ebene schneidet,
geht für Menschen in der eingezeichneten Position
die Sonne auf. Wir müssen den hier in Abbild 6 eingezeichneten astronomischen Horizont von dem natürlichen Horizont unterscheiden. Wenn östlich meines Standortes ein Gebirgszug lokalisiert ist, wird die Sonne tatsächlich erst viel später zu sehen sein, als auf dem Kalenderblatt steht oder im Radio zu hören war. Diese astronomischen Auf- und Untergangszeiten auf den Kalenderblättern gelten eigentlich nur, wenn in Richtung des Sonnenaufgangs das Meer oder flaches Land liegt. Den einen oder anderen mag es auch verwirren, daß die Horizontlinie in Abbild 6 durch den Erdmittelpunkt gezeichnet ist. Korrekterweise müßte sie, als Tangentenfläche, an die Kugeloberfläche (am Fuß des Strichmännchens) gezeichnet werden (in unserer zweidimenionalen schematischen Zeichnung also als eine Linie an den Kreis). Die hier gewählte Darstellung ist eine geometrische Vereinfachung, die sich für Berechnungen besser eignet. Sie unterscheidet sich praktisch nicht von der anderen Darstellung: Bedenken Sie, daß der Entfernungsunterschied Erdoberfläche - Erdmittelpunkt verglichen mit dem Abstand Erde - Sonne oder Erde - Planet praktisch vernachlässigt werden darf. Wenn wir nämlich die Sonne im maßstabsgerechten Abstand von der Erde zeichnen wollten (die Erde so groß, wie sie in dieser Zeichnung ist), dann müßten wir sie etwa 100 Meter von diesem Kreis entfernt zeichnen. Und aus diesem Abstand wäre der Entfernungsunterschied Erdmittelpunkt - Erdoberfläche tatsächlich nicht mehr zu erkennen. Wenn wir den Himmel über längere Zeit beobachten, dann werden wir feststellen, daß die Anordnung der Sterne (ihre Stellung zueinander) im allgemeinen konstant bleibt. Die Sterne, für die das zutrifft, nennen wir Fixsterne: Die Figuren, die durch die Stellung dieser Sterne zueinander gebildet werden (und die wir, zur Orientierung am Himmel, zu verschiedenen Sternbildern zusammengefaßt haben), ändern sich nicht, d. h. die Sternbilder behalten immer dieselbe Form. Mit dem Ausdruck Fixstern ist also nicht gemeint, daß dieser Stern immer an der gleichen Stelle des Himmels steht. Wie wir gesehen haben, geht auch jeder Fixstern jeden Tag im Osten auf, kulminiert und geht im Westen wieder unter. Die Fixsterne können auch nicht fest an einem bestimmten Ort stehen, weil wir uns mit unserer Erde ja drehen.
Einem aufmerksamen Beobachter wird bei längerer
Himmelbeobachtung aber nicht entgehen, daß einige,
sehr wenige, der leuchtenden Punkte am Himmel (also
der "Sterne") sich innerhalb dieser Fixstern-Figuren
hin- und herbewegen. Bei dreien ist diese Bewegung
so schnell, daß man sie von einer Nacht zur anderen
mit bloßem Auge feststellen kann, zwei weitere
bewegen sich so langsam, daß man sie über
Wochen oder Monate beobachten muß, um ohne Hilfsmittel
erkennen zu können, daß auch sie ihre relative
Lage (ihre Lage bezogen auf die anderen Sterne) verändern.
Abbild 7
Einen guten Monat früher hätte man den Mond an der Stelle sehen können, die Abbild 8 zeigt. (In Abbild 8 wurde auch die Sonne noch dazugezeichnet.
Abbild 8
Wir sehen sie hier an einer anderen Stelle als in Abbild 4.)
Wir stellen also fest, daß manche Gestirne sich,
zusätzlich zu der Bewegung von Aufgang, Kulmination
und Untergang, offensichtlich noch relativ zu den Fixsternen
bewegen, allerdings sehr viel langsamer. Die Bewegung
von Aufgang, Kulmination und Untergang beruht, wie
wir gesehen haben, auf der Rotation der Erde.
Abbild 9
Die "scheinbare" Bahn, die die
Sonne am Himmel nimmt ("in Wirklichkeit"
ist es die Bahn der Erde um die Sonne), nennt man die
Ekliptik. Die Sternbilder, die die Sonne dabei durchläuft,
fassen wir zum Tierkeis zusammen, genauer gesagt nennt
man diesen Tierkreis den siderischen Tierkreis. Warum
der Tierkreis noch einen näher bezeichnenden Beinamen
hat, werde ich im übernächsten Abschnitt
erläutern. Wir werden dann sehen, daß es
noch einen zweiten Tierkreis gibt. Stellen Sie sich vor, sie befänden sich in einem runden Raum, der völlig abgedunkelt ist. Dieser Raum sei sehr groß. An den Wänden dieses Raumes seien, mit Leuchtfarbe, weiße Punkte in der gleichen Anordnung gemalt, wie die Sterne bei den Sternbildern angeordnet sind. In der Mitte des Raumes hänge eine winzige leuchtende Glühbirne (hell, aber zu schwach, um den Raum zu erhellen, so daß außer den Figuren an den Wänden und dieser kleinen Glühbirne alles absolut dunkel ist). Nun stellen Sie sich noch vor, Sie stünden auf einem Förderband (den Blick zu dieser leuchtenden Birne gerichtet), das Sie im Kreis um diese Glühbirne herumfährt.
Diese Situation ist vergleichbar der Situation in Abbild
9, wenn Sie sich selbst an die Stelle der Erde setzen
und die leuchtende Birne an die Stelle der Sonne. Wenn
Sie den Blick auf die Birne gerichtet halten, wird
hinter dieser Birne immer ein anderer Abschnitt der
bemalten Wand aufscheinen, je nachdem, an welche Stelle
Sie das Förderband gerade getragen hat. |
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© Copyright 1998 Dr. Peter Niehenke [02/Feb/98/TJK] |