Kapitel 7: Auffassungen über die Natur astrologischer Aussagen
Die Auffassungen zur Frage der Natur der astrologischen
Aussagen sollen in vier Gruppen zusammengefaßt
werden, die Stufen der "Rigidität" der
Forderung nach Objektivierbarkeit des behaupteten Wissens
repräsentieren:
1. Esoterische Astrologie: Astrologisches Wissen ist
Offenbarungswissen. "Die Esoteriker erblicken
in der überlieferten astrologischen Lehre eine
von göttlichen Wesen oder erhabenen Denkern, wie
Hermes Trismegistos, geoffenbarte kosmische Philosophie,
die nur von Eingeweihten subjektiv nacherlebt und verstanden
werden kann". (KNAPPICH 1967, 309)
2. Symbolische Astrologie: Die in dieser Arbeit dargestellte
Astrologie gehört hierher. Es wird ein Deutungssystem
vorausgesetzt, innerhalb dessen den verschiedenen astronomischen
Gegebenheiten (den Planeten und deren Konstellationen,
bestimmten Abschnitten des Raumes) eine symbolische
Bedeutung zugeschrieben wird. Die Symbole repräsentieren
grundlegende (prinzipielle, elementare) Strukturen,
die Materielles, Seelisches und Geistiges gleichermaßen
umfassen.
3. "Astrologie als Erfahrungswissenschaft"
(KLOECKLER 1925): Astrologische Aussagen beruhen auf
aus Beobachtungen abgeleiteten Regeln (etwa wie Regeln
des richtigen Anbaus von Wein) über systematisch
auftretende Koinzidenzen zwischen Himmelserscheinungen
und Abläufen auf der Erde . Diese Beobachtungen
führten zur Aufstellung eines Systems, welches
in Form von Metaphern und Allegorien tradiert wurde
und wird.
4. Astrologie als "Naturwissenschaft": Bei
den Regeln der Astrologie handelt es sich um die Beschreibung
von Wirkungen der Planeten auf Organismen analog anderen
bekannten energieschwachen physikalischen Wirkungen
- so z. B. die sehr schwache und doch, aufgrund der
"Sensibilität" des Radios, sehr effiziente
Wirkung der Radiowellen, die ein Sender aussendet,
auf das empfangende Radio. Die genaue Form dieser Wirkungen
ist derzeit noch nicht bekannt und deshalb nur in Form
von Metaphern formulierbar.
Die Symbolische Astrologie und die Auffassung von Astrologie
als einer Erfahrungswissenschaft wird von Astrologen
häufig nicht auseinander gehalten. Es ist aber
notwendig, eine Trennung vorzunehmen: Die symbolische
Astrologie läßt, streng genommen, nur "Erweiterungen"
(ggf. "Umformulierungen") der Bedeutung ihrer
Elemente zu, keine völlige "Umdefinition".
Dies war auch die Haltung des großen Astrologen
dieses Jahrhunderts im deutschen Sprachraum, Thomas
RING: "Eine neue Regel in der Astrologie wird
zugelassen, wenn sie denknotwendig ist und sich in
der Erfahrung bewährt hat." Eine an "Sammlung
von Beobachtungen" orientierte Astrologie ist
dagegen jederzeit in der Lage, bei Vorliegen neuer
Fakten die bisherigen Regeln (ggf. vollständig)
zu ändern. Dies ist auch der Weg der sog. "Neo-Astrologie"
(s.u.).
Auch die Auffassungen von Astrologie als Erfahrungswissenschaft
einerseits, Naturwissenschaft andererseits werden
oft nicht auseinander gehalten. Die dritte Auffassung
ist jedoch nicht festgelegt, was das zugrundeliegende
"Weltbild" angeht; der Begriff der Erfahrung
ist dort weiter auszulegen.
Schließlich gehen auch die Esoterische und die
Symbolische Astrologie in der Argumentation von Astrologen
häufig ineinander über. Die einzelnen Auffassungen
müssen aber wegen der Konsequenzen für eine
mögliche Prüfung - vor dem Hintergrund der
Angemessenheit der Methode - unterschieden werden.
Esoterische Astrologie
Für die Esoterische Astrologie ist eine Prüfung
ihrer Aussagen weder notwendig noch möglich. Diese
Auffassung von Astrologie ist daher für unsere
Erörterungen nicht von Bedeutung.
Astrologie als "Naturwissenschaft"
Das Bedürfnis, den Zusammenhang zwischen Kosmos
und Bios physisch-kausal verstehen zu können,
ist alt. Das versuchte schon PTOLOMAEUS im 2. Jhd.
(1822). Das Bedürfnis ist verständlich: ist
doch für viele die "Undenkbarkeit" eines
kausalen Zusammenhanges der Anlaß, die Astrologie
schon von daher abzulehnen. Im Hintergrund steht dabei
die Überzeugung, daß die Postulierung nicht-kausaler
Zusammenhänge dem Bereich vorwissenschaftlichen
Denkens, dem Bereich von Aberglauben und Magie angehören.
"Ideologische" Schwierigkeiten dieser Art
lösen sich oft auf überraschende Weise: Sie
entpuppen sich als Scheinprobleme: Seit die Materie
im Zuge der immer weiter fortschreitenden Auflösung
ihrer aus der Alltagserfahrung gewohnten Eigenschaften
(z. B. der Solidität oder Undurchdringlichkeit)
keine selbstverständliche Kategorie mehr ist,
so daß wir eigentlich gar nicht (mehr) wissen,
was Materie überhaupt genau ist, entpuppt sich
z. B. der Materialismus-Idealismus-Gegensatz als ein
solches Scheinproblem. Materie wird immer "immaterieller"
(WEIZSÄCKER 1971, 289, 312 ff). Ähnliches
könnte sich für die Kategorie "Wirkung"
bzw. "Ursache" einmal erweisen; erkenntnistheoretisch
sind sie ohnehin keine "Selbstverständlichkeiten".
Vertreter der Auffassung von Astrologie als einer "Naturwissenschaft"
operieren häufig mit Analogien zu physikalischen
Modellvorstellungen (MODERSOHN 1983). Es wird dabei
meist nicht gesehen, daß diese Modellvorstellungen
in den Naturwissenschaften nur einen heuristischen
Wert haben (haben sollten!) und ihren Sinn erst aus
der Zuordnung zu bestimmten experimentellen Anordnungen
und durch eindeutige "Meßvorschriften"
erhalten. Häufig liegt dieser Auffassung eine
unreflektiert übernommene Verabsolutierung des
Wahrheitsanspruchs der Naturwissenschaften zugrunde.
Insbesondere wird die Relativität der Kategorie
"Kausalität" nicht gesehen, weshalb
auch für astrologische Zusammenhänge nach
glaubwürdigen Ursachen gesucht wird, die dann
in nicht näher bestimmbaren "Strahlen"
(in Analogie zu Radiowellen) gesehen werden.
Mit diesen Einwänden soll nicht die Fruchtbarkeit
von Forschungen in Frage gestellt werden, die mit naturwissenschaftlichen
Mitteln Beziehungen zwischen Kosmos und Mensch untersuchen,
ganz im Gegenteil: Solche Untersuchungen haben jedoch
für die Astrologie den gleichen Stellenwert, wie
ihn Biologie und Physiologie für die Psychologie
haben: Ebensowenig wie sich das gedankliche und emotionale
Geschehen im Menschen vollständig auf biophysikalische
und biochemische Veränderungen im Körper
(einschließlich des Gehirns) reduzieren läßt
- insbesondere nicht im Lichte der Erkenntnisse der
Systemtheorie -, ebensowenig läßt sich die
Astrologie in der derzeit praktizierten Form vollständig
auf physikalische "Wirkungen" der Gestirne
reduzieren, wenngleich in beiden Fällen unbestreitbar
enge Beziehungen bestehen.
Astrologie als Erfahrungswissenschaft
Wenn Astrologie als Erfahrungswissenschaft bezeichnet
wird, so soll damit ausgedrückt werden, daß
die Behauptungen, die Astrologen aufstellen, nicht
Glaubenssätze sind, sondern Erfahrungen, daß
sie aus Beobachtungen abgeleitet werden und an der
Beobachtung zu prüfen sind. Man stellt man sich
dieses Prüfen allerdings oft einfacher vor als
es im Falle der Astrologie tatsächlich ist. Insbesondere
die frühen Arbeiten von CHOISNARD (1919, 1920)
oder KRAFFT (1939) kranken dabei an methodischen Fehlern,
wie GAUQUELIN (1960) nachgewiesen hat (referiert bei
EYSENCK/NIAS 1982, 62ff), doch auch die meisten der
zahlreichen neuen Untersuchungen zur Astrologie sind
oft methodisch so dilletantisch angelegt, daß
die Ergebnisse nicht interpretierbar sind (DEAN/MATHER
1977).
Überblickt man die Forschungen der letzten Jahrzehnte,
so gewinnt man den Eindruck, als beginne sich aus der
hier gerade beschriebenen Auffassung von Astrologie
auf der Basis einer besonders strikten Verfolgung eines
rein empirischen Zugangs langsam eine ganz neue Art
Astrologie zu entwickeln, eine "Neo-Astrologie"
(GAUQUELIN 1983). Sie tendiert bei der "Erklärung"
astrologischer Zusammenhänge zu naturwissenschaftlichen
Konzepten, ohne jedoch der vereinfachenden Vorstellung
von Planeten-Wirkungen in der oben beschriebenen Form
zu verfallen. Mit der Symbolischen Astrologie hat sie
kaum mehr gemeinsam als die Alchemie mit der Chemie,
insbesondere im Hinblick auf die Methodik des Vorgehens:
An die Stelle einer universalen, in Symbolen vermittelten
"Theorie" über den Zusammenhang zwischen
Kosmos und Mensch, tritt die Überprüfung
von Einzelhypothesen über Korrelationen zwischen
klar definierten astronomischen Einzelfakten und ebenso
klar definierten isolierten Merkmalen einer Person,
also Statistik (GAUQUELIN 1983, STARK 1985, EYSENCK/NIAS
1982, DWYER 1983a+b). Und es werden ausschließlich
solche Regeln für die "Deutung" des
Horoskops akzeptiert, die einer statistischen Überprüfung
standgehalten haben bzw. die auf diese Weise erst entwickelt
wurden.
Diese Art der "Astrologie" ist untrennbar
verknüpft mit dem Namen Michel GAUQUELIN. In mehr
als 40jähriger Pionierarbeit unterzog er, zusammen
mit seiner Frau Françoise, weite Teile der Klassischen
Astrologie einer statistischen Analyse, indem er astrologische
Regeln, die implizit oder explizit ja immer Aussagen
über Häufigkeiten machen, mit den entsprechenden
Planeten-Konstellationen korrelierte. Seine Arbeiten
werden in diesem Kapitel noch ausführlicher dargestellt
werden.
Symbolische Astrologie
Im Unterschied zur "Neo-Astrologie" als Beispiel
eines konsequenten rein empirischen Zugangs hält
die Symbolische Astrologiean der Gesamt-Struktur der
Astrologie als einem in sich geschlossenen Aussage-System
fest - man könnte sagen, sie hält an der
"Gestalt" der Astrologie fest. Doch auch
Astrologen, die Astrologie im Sinne der Symbolischen
Astrologie verstehen, würden für sich in
Anspruch nehmen, daß sie ihre Behauptungen an
der Erfahrung prüfen. Sie gehen dabei von einem
Begriff von Erfahrung aus, der weiter gefaßt
ist: auch Erlebnisse der Evidenz gehören dazu.
Ein weiterer wesentlicher Unterschied besteht darin,
daß die Ebene der Symbole von der Ebene ihrer
"Entsprechungen" getrennt gesehen wird, d.
h. die Bedeutung eines Symbols ist nicht identisch
mit seinen Entsprechungen: die Entsprechungen sind
Beispiele; sie erläutern die Bedeutung des Symbols.
Sie sind keine (operationalen) "Definitionen".
Dabei wird implizit angenommen, daß es "etwas"
gibt (eine "Idee"), was diese Symbole "eigentlich"
sind.
Am leichtesten läßt sich das, was sie "eigentlich"
sind, in der Sprache der Systemtheorie formulieren,
wenn man die "Ebene der Wirklichkeit", deren
Struktur die Astrologie spiegelt, als die Ebene der
"System-Eigenschaften" versteht. Wie weit
das tatsächlich durchzuhalten ist, kann man beim
gegenwärtigen Stand der Forschung noch nicht abschließend
beurteilen.
In ihrer Not, den intuitiv erfaßten Strukturen
der Realität, die sich im Horoskop spiegeln, keine
allgemein verständliche "Ebene" zuordnen
zu können (als die Ebene der "Zeichen der
Götter", wie in Kapitel 1 beschrieben, verloren
war), haben Astrologen zu den verschiedensten "Erklärungen" gegriffen, den Kosmos-Bios-Zusammenhang plausibel erscheinen
zu lassen. Thomas RING lehnte sich, wie beschrieben,
an das von R. H. FRANCE entwickelte System einer ganzheitlich-verstehenden Biologie an - wir können dies als einen Spezialfall
des systemtheoretischen Ansatzes verstehen. RIEMANN
(1976) postuliert ein "Kosmisches Unbewußtes",
das er, metaphorisch gesprochen, noch "unterhalb"
der Ebene des von C. G. JUNG (1976) konzipierten "Kollektiven
Unbewußten" ansiedelt, wobei dieses "Kollektive
Unbewußte" von JUNG bereits als eine allgemeinere,
"tiefere" Schicht zum "persönlichen
Unbewußten" im Sinne von Sigmund FREUD zu
verstehen ist.
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