Kapitel 7.2: Das Meßproblem

Im Sinne der in Kapitel 5.3 gegebenen Einteilung handelt es sich bei dieser Studie um den Vergleich isolierter astrologischer Konstellationen mit Selbst- oder Fremdbeurteilungen von Personen. Wie dort dargestellt, hat die Einbeziehung von Deutungen des Horoskops durch Astrologen zur Folge, daß nicht die diagnostische Leistungsfähigkeit der Astrologie sondern die der Astrologen überprüft wird, wie es in den Studien von WERTHMANN und des Instituts für Grenzgebiete auch geschehen ist. Solange es keine Möglichkeit gibt, auf objektive Weise Gestalt-Qualitäten zu erfassen (was hoffentlich mit Hilfe systemtheoretischer Überlegungen einmal gelingen wird), solange wird man sich immer entscheiden müssen zwischen einer Überprüfung astrologischer Regeln und der Überprüfung von Astrologen.

Dieses Problem ist deshalb von besonderer Bedeutung, weil sich in Studien in den USA gezeigt hat, daß erfolgreiche Astrologen auch bei absichtlich verfälschten Geburtsdaten (und damit falschen Horoskopen) in der Lage sind, zutreffende Deutungen zu geben - und dies sogar bei sog. Blind-Diagnosen (DEAN/MATHER 1977, 36ff). Dies spricht, zumindest bei diesen Astrologen, für einen hohen Anteil medialer Begabung als Ursache ihres Erfolgs. Man muß dazu bedenken, daß sich in aller Regel immer wieder nursehr wenige Astrologen als erfolgreich erweisen (in der Arbeit von WERTHMANN waren es 13 von insgesamt 150 teilnehmenden Astrologen), daß es also neben erlernbarem Wissen evtl. noch eines "besonderen Talents" bedarf. Ebenso fällt auf, daß selbst bei den erfolgreichen Astrologen nur ein gewisser Prozentsatz der Interpretationen eindeutig zutrifft (WERTHMANN 1968), was sehr an Experimente mit Medien erinnert.

Diese Ambivalenz reicht bis in die Ergebnisse dieser Studien selbst hinein: GAUQUELIN findet nur für fünf der zehn in der Astrologie benutzten Gestirne signifikante Resultate, WERTHMANN findet, daß nur eine kleine Zahl astrologischer Gutachten eindeutig stimmig ist, ebenso aber eine kleine Zahl eindeutig falsch, doch findet er diese Relation auch bei wissenschaftlich anerkannten Verfahren. Ein merkwürdiger Widerspruch der Ergebnisse WERTHMANNs und des Institut für Grenzgebiete einerseits und GAUQUELINs andererseits liegt darin, daß GAUQUELIN in früheren Studien gefunden hatte, daß Astrologen in ihrer täglichen Beratungstätigkeit völlig unzuverlässig sind (1983), die Studien am Institut für Grenzgebiete und die von WERTHMANN jedoch zeigen, daß die Ergebnisse um so besser ausfielen, je mehr Astrologen das tun können, was sie ohnehin in ihrer täglichen Arbeit tun (siehe Abschnitt 6.3 und KÖBERL 1984).

Unabhängig davon, ob diese Vermutungen zutreffen: Will man sicher sein, daß wirklich astronomische Konstellationen und nicht die Medialität der Astrologen verantwortlich für die Übereinstimmungen Kosmos-Mensch sind, dann kommen nur diejenigen Varianten der beschriebenen Untersuchungsmethoden in Betracht, in denen astrologische Konstellationen - und nicht Deutungen von Astrologen - mit den Kriterien in Beziehung gesetzt werden. Zudem legt die in dieser Studie primär untersuchte Fragestellung diese Form des Vorgehens nahe: Es soll nicht allgemein die Aussagekraft des Horoskops geprüft sondern die Frage untersucht werden, ob speziell den Tierkreiszeichen eine Validität zukommt.

Zur Frage der Auswahl der Zeichen und Planeten (Deutungselemente)

Bei der Operationalisierung der symbolischen Bedeutung der Tierkreiszeichen ist ein Gesichtspunkt besonders zu beachten: Die Bedeutung der Tierkreiszeichen bezieht sich, wie dargestellt, auf "Stile" und "Ausdrucks-Formen" in einem ganz speziellen Sinn. Den Anteil der Kategorie "Tierkreiszeichen" am Erleben und Verhalten einer Person erfassen zu wollen, ist vergleichbar dem Versuch, den Anteil "Umwelteinfluß" isoliert vom Anteil "genetische Ausstattung" erfassen zu wollen, und dies nur unter Hinzuziehung des aktuellen Gesamtzustandes der Person. Dies ist deshalb äußerst schwierig, weil der gegenwärtige Zustand sich aus einer unauflöslichen Interaktion beider Anteile im Laufe des bisherigen Lebens der Person herausgebildet hat.

Aus diesem Grunde empfiehlt es sich, nicht "die Bedeutung des Tierkreiszeichens x" zu operationalisieren, sondern, spezifischer, "die Bedeutung von Planet y in Tierkreiszeichen x". Bei der großen Zahl von möglichen Kombinationen zwischen Planeten und Tierkreiszeichen folgt daraus, sich auf einige wenige Planeten (ggf. einschließlich Aszendent und Medium Coeli) und auch auf einige wenige Tierkreiszeichen zu beschränken. In dieser Studie wurden die drei Tierkreiszeichen Widder, Stier und Zwilling ausgewählt, weil die Bedeutung dieser Zeichen starke Kontraste beinhaltet, und dies ist im Hinblick auf eine effiziente statistische Auswertung der Ergebnisse äußerst wünschenswert.

Die 12 Typen des Tierkreises sind nach der astrologischen Tradition denkbar als Kombination elementarer Grund-Typen:

Ausgehend von der Zahl 2: die "positiven" und "negativen" Zeichen (6 Zeichen einschließend)
Ausgehend von der Zahl 3: die drei "Ur-Qualitäten" kardinal, fix und beweglich (je 4 Zeichen einschließend)
Ausgehend von der Zahl 4: die vier "Trigone" bzw. "Tempramente" Feuer, Wasser, Erde und Luft
(je 3 Zeichen einschließend)

Die Lehre von den vier Tempramenten geht zurück auf die pythagoräische Lehre von den vier Elementen Feuer, Wasser, Erde und Luft. Der griechische Arzt HIPPOKRATES ordnete diesen vier Elementen vier Körpersäfte und dazugehörige Tempraments-Typen zu: cholerisch, phlegmatisch, melancholisch und sanguinisch. Der griechische Astrologe ANTIOCHOS VON ATHEN verband nun diese Lehre mit der Astrologie, indem er dem Tierkreis vier gleichseitige Dreiecke einschrieb, das Feuer-, Wasser-, Erde- und Luft-Trigon, und die entsprechenden Zeichen den dazugehörigen Tempraments-Typen zuordnete.

Die drei Zeichen eines jedes Tempraments sind drei verschiedenen "Ur-Qualitäten" (die im Tierkreis drei Kreuze bzw. eingeschriebene Quadrate bilden) zugehörig. So gehört z. B. von den drei Feuerzeichen Widder, Löwe und Schütze der Widder der Qualität "kardinal" an, der Löwe der Qualität "fix" und der Schütze der Qualität "beweglich". Thomas RING nennt diese Qualitäten "Grundformen des Wirkens und Werdens": "Tempramente als feststehende Reaktionsartungen sind Grundbefindlichkeiten in der Beantwortung umweltlicher Reize." (1969b, 85) Die Ur-Qualitäten beziehen sich dagegen auf "Werde-Prozesse", auf typische Abläufe, typische "Muster" im Prozeß der Selbstverwirklichung.

Aus dieser Typologie ergibt sich nun, daß das Zeichen Widder Gemeinsamkeiten mit den Zeichen Löwe und Schütze (als Feuerzeichen) und mit den Zeichen Waage, Krebs und Steinbock (als kardinale Zeichen) hat, zudem hat es, wie in Kap. 6.5 beschrieben, Gemeinsamkeiten mit allen anderen positiven Zeichen. Daher müßten die Bedeutungen des Zeichens Widder a priori mit den Zeichen Löwe und Schütze (als Feuerzeichen), Krebs, Waage und Steinbock (als kardinale Zeichen) sowie Zwilling und Wassermann (als positive Zeichen) ko-variieren.

Für eine effiziente statistische Auswertung wäre es allerdings wünschenswert, wenn möglichst solche Zeichen gewählt werden, die Dimensionen repräsentieren, die nicht miteinander korrelieren. Es ist klar, daß dies bezüglich der Einteilung in positive und negative Zeichen schon nicht mehr zu leisten ist, da bei drei Zeichen mindestens zwei Zeichen zur selben Gruppe gehören müssen.

Die ersten drei Zeichen des Tierkreises, die schließlich ausgewählt wurden, gehören drei verschiedenen Tempramenten und drei verschiedenen Ur-Qualitäten an: Widder ist ein kardinales Feuerzeichen, Stier ein fixes Erdzeichen und der Zwilling ist ein bewegliches Luftzeichen. Widder und Zwilling sind positive, der Stier ist ein negatives Zeichen. Die Zeichen sind durch Konzentration leicht "kombinierbarer" Prinzipien besonders gut unterscheidbar:

Von den Feuerzeichen (cholerischer Tempraments-Typus) ist der Widder, durch Kombination mit der Qualität "kardinal" (Betonung des Willens), besonders impulsiv und ungestüm. Die durch den Widder getönten Planeten tendieren zu rascher und heftiger Realisierung. Von allen Erdzeichen (melancholischer Tempraments-Typ) ist der Stier, durch die Kombination mit der Qualität "fix" (Betonung des Bewahrens), besonders beharrend und geduldig. Die durch den Stier getönten Planeten tendieren zu "geruhsamer Entfaltung" und Reaktivität. Von allen Luftzeichen (sanguinischer Tempraments-Typ), ist der Zwilling, durch Kombination mit der Qualität "beweglich" (Betonung der flexiblen Anpassung an wechselnde Umstände), besonders anpassungsfähig (ggf. aber auch wechselhaft). Die durch den Zwilling getönten Planeten tendieren, wie beim Widder, zu rascher aber, im Gegensatz zu Widder, wenig intensiver Realisierung: die Realisierung ist stärker von den äußeren Umständen als von inneren Impulsen gelenkt.

Die Bedeutung der Tierkreiszeichen ist viel-dimensional. Es sind Symbole. Durch die oben gegebenen Beschreibungen wird deutlich, daß zwei Tierkreiszeichen wie die beiden Zeichen Widder und Stier zum einen ganz unterschiedliche Dimensionen der Persönlichkeit repräsentieren, zum anderen aber auch nur die beiden entgegengesetzten Pole einer einzelnen Dimension. In Begriffen der Statistik ausgedrückt handelt es sich im letzteren Fall um eine negative Korrelation, faktorenanalytisch um einen beiden Symbolen gemeinsamen Faktor. Der gemeinsame Faktor drückt sich auf Item-Ebene darin aus, daß bestimmte Items, die mit positiver Polung für den Widder zutreffen, mit negativer Polung für den Stier zutreffen und umgekehrt. Bezüglich anderer Dimensionen besteht zwischen beiden Symbolen Orthogonalität.

Bezogen auf die drei Zeichen Widder, Stier und Zwilling sollten die beiden Hauptgestirne Sonne und Mond sowie der Aszendent untersucht werden. Die Stellung von Sonne, Mond und Aszendent in den Zeichen bildet, besonders in der Kombination, einen klaren Schwerpunkt in der Gesamt-Struktur des Horoskops (NIEHENKE, 1984).

Die Wahl des Instrumentes zur Datenerhebung

Astronomisch gesehen variieren Sonne, Mond und Aszendent unabhängig voneinander. So finden wir etwa in einem Zwölftel aller Horoskope die Sonne im Zeichen Widder, in etwa einem von 144 Fällen sowohl Sonne als auch Mond im Zeichen Widder und, da nur etwa 1/20 aller Horoskope einen Aszendenten im Widder aufweist, in einem vom ungefähr 2800 Fällen Sonne, Mond und Aszendent gemeinsam im Zeichen Widder. Wenn neben der Auswertung einzelner Konstellationen auch ein "Kumulierungs-Effekt" untersucht werden soll (Sonne und Mond oder Sonne und Aszendent in einem Zeichen), so bedarf es sehr großer Stichproben.

Obwohl der Subtilität der zu erfassenden Bedeutungs-Nuancen als Instrument der Datenerhebung eigentlich nur ein ausführliches Interview angemessen wäre, so ist das doch angesichts dieser Stichproben-Größen aus organisatorischen Gründen nicht realisierbar. *126

Es wurde daher für diese Untersuchung eigens ein Fragebogen entwickelt. Die Bedeutung eines jeden der untersuchten Merkmale sollte so facettenreich wie möglich in eine Reihe von Fragen übersetzt werden. Der Rückgriff auf einen der vorliegenden standardisierten Persönlichkeits-Fragebogen sollte zunächst vermieden werden, weil deren Validität so niedrig angesetzt werden muß (REINERT 1973), daß sie als Kriterium für einen möglicherweise schwachen Effekt nicht in Frage kommen: sie würden den "Meßfehler" zu stark erhöhen. Vor allem aber ist der Bezug der mit ihnen gemessenen Konstrukte zu den Konzepten der Astrologie unklar. Wie ein grober Vergleich von Konstrukten auf der Basis von Persönlichkeits-Tests mit der symbolischen Bedeutung astrologischer Bedeutungsträger zeigt, ist der "Merkmalsraum" der Astrologie anders strukturiert als derjenige, der sich aus psychologischen Konstrukten ergibt, wie in Kap. 4.2 ausführlich begründet.

Man kann gegen diese Methode einwenden, daß ein so konstruierter Fragebogen nur zu erfassen erlaubt, was eine Person von sich meint, nicht aber, wie es sich um die Person wirklich verhält (LOCKOWANDT 1984). Dies würde jedoch bei einem ausführlichen Interview ebenso der Fall sein. Zu umgehen wäre dies, abgesehen von der Methode der "dialogischen Validität" (siehe Kap. 5.3), die in unserem Fall nicht anwendbar ist, nur durch "objektive Messung" der Merkmale einer Person, und eine solche objektive Messung ist nicht möglich. Der (wenn auch eingeschränkte) "Erfolg" der Persönlichkeitsfragebogen bei der Validierung an externen Kriterien (JANKE 1970) zeigt zudem, daß das, was eine Person über sich meint, mit dem korrelieren dürfte, was es tatsächlich mit ihr "auf sich hat" bzw. mit der Art, wie sie sich tatsächlich verhält. Das würde man ja intuitiv auch so erwarten. Über das Ausmaß der Abweichung läßt sich allerdings sehr wenig Sicheres sagen, nicht zuletzt deshalb, weil im Bereich von Persönlichkeits-Merkmalen eine klare Grenzlinie zwischen "wirklich" und "nur gemeint" sehr schwer zu ziehen ist, wie die Studien zur Selbstattribuierung von PAWLIK & BUSE zeigen (s.o.). Der Versuch, durch diese Form der Operationalisierung zu einem Ergebnis zu kommen, erscheint auch deshalb gerechtfertigt, weil GAUQUELINs Character-Traits-Methode eine auf den ersten Blick mindestens ebenso "fragwürdige" Operationalisierung der symbolischen Bedeutung der Planeten darstellt, er aber mit dieser Methode dennoch erfolgreich ist. (Siehe dazu auch Anm. 125)


 Kapitel 7.1
Kapitel 7.3 
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