Kapitel 3: Alle Widder sind eigentlich Fische? - Tropischer und siderischer Tierkreis und das Wassermann-Zeitalter.
Seit der Zeit der Aufklärung wird von uninformierten
Kritikern der Astrologie alle paar Jahrzehnte ein Einwand
neu aufgewärmt, der schon hundertmal widerlegt
wurde. Für diejenigen, die ihn zum ersten Mal
hören, hat er aber etwas derart Verunsicherndes
(wenn man Astrologie ernst nimmt) oder Attraktives
(wenn man ja schon immer wußte, daß Astrologie
Unsinn ist), daß er immer wieder neu in die
Diskussion eingebracht wird: Es geht um die Behauptung,
daß die Astrologen mit den falschen Sternbildern
arbeiten würden. Aufgrund der sog. Präzession
(s. u.) würde nämlich an der Stelle des Himmels,
wo Astrologen den Widder sehen, in Wirklichkeit das
Sternbild Fische stehen (und entsprechend seien auch
alle anderen 12 Sternbilder verschoben).
Was hat es damit auf sich?
In Kapitel 2 haben wir gelernt, daß die Bewegungen
der Himmelskörper in ihrer täglichen Bahn
(Aufgang, Kulmination, Untergang) den Rhythmus bestimmter
Vorgänge auf der Erde bestimmen. (Die Bewegung
des Mondes z. B. bestimmt den Rhythmus der Gezeiten).
Auch Organismen reagieren auf diese Rhythmen (Austern-Beispiel).
Wenn wir uns vergegenwärtigen, welche existentielle
Bedeutung der Rhythmus von Tag und Nacht (die tägliche
Bewegung der Sonne) für das Leben auf der Erde
hat, dann können wir leicht nachvollziehen, daß
der auf der Erdrotation beruhende Rhythmus ein wichtiger
kosmischer Reiz (siehe Kap. 2) ist.
Wir haben dann eine weitere Bewegung kennengelernt,
die auf der Revolution des Planeten um die Sonne basiert.
Der augenfälligste Effekt dieser Revolution um
die Sonne sind die Jahreszeiten.
Die Entstehung der Jahreszeiten
Wenn Sie einen Globus betrachten, dann ist Ihnen vielleicht
schon einmal aufgefallen, daß die Achse des Globus
immer schräg steht. Das hat nicht etwa ästhetische
Gründe. Es bedeutet, daß die Erdachse geneigt
ist. Aber geneigt wogegen? Im Weltenraum gibt es ja
keinen Fußboden, im Vergleich zu dem die Achse
der Erde schräg stehen könnte. Geneigt ist
die Erdachse gegenüber ihrer eigenen Bahn um die
Sonne, wie wir schon in Abbild 8 erkennen konnten.
Diese Neigung der Erdachse hat zur Folge, daß
während des Umlaufs der Erde um die Sonne einmal
die nördliche Erdhalbkugel der Sonne zugewandt
ist (in Abbild 8 wäre das der Fall, wenn die Erde
sich etwa im Abschnitt XII befindet) und einmal die
südliche (wenn die Erde sich im Abschnitt VI befindet).
Wenn die Nordhalbkugel der Sonne zugewandt ist, dann
haben wir Sommer, wenn dagegen die Südhalbkugel
der Sonne zugewandt ist, ist bei uns auf der Nordhalbkugel
Winter. Die beiden Zwischenpositionen, an denen Nord-
und Südhalbkugel etwa gleich viel Licht von der
Sonne erhalten, nennen wir Frühling bzw. Herbst
(dem Frühling auf der Nordhalbkugel entspricht
der Herbst auf der Südhalbkugel, und umgekehrt).
Inbezug auf die Sonne führt die Rotation der Erde
zum Tag-Nacht-Rhythmus und die Revolution der Erde
(um die Sonne) zum Rhythmus der Jahreszeiten. In beiden
Fällen gibt es vier wichtige Punkte: Aufgang,
Kulmination, Untergang und, bisher noch nicht erwähnt,
die untere Kulmination (die Mitternachts-Stellung der
Sonne), auf der einen Seite, Frühlings, Sommer-,
Herbst- und Winteranfang auf der anderen Seite. Was
bezogen auf die Revolution der Erde um die Sonne die
Jahreszeiten sind, entspricht bei der Revolution des
Mondes um die Erde in etwa den Mondphasen. Um diese
rhythmischen Vorgänge geht es den Astrologen.
Ohne diese astronomischen Verhältnisse (Schrägstellung
der Erdachse etc.) kennen zu können, stellten
die Babylonier damals aber schon etwas fest: Zu Sommeranfang,
d. h., wenn die Sonne am höchsten am Himmel steht, steht die Sonne immer vor dem Hintergrund des Sternbildes Krebs, zu Frühlingsanfang immer zu Beginn des Sternbildes Widder.
Da die Babylonier nicht wissen konnten, daß dies
damit zusammenhängt, daß die Achse der Erde
eine bestimmte Schräge hat, so daß bei der
Stellung der Sonne im Krebs einfach die Nordhalbkugel
der Sonne zugewandt ist, versuchten sie, sich dies
anders zu erklären: Es schien ihnen, als ob die
Sonne durch die Stellung in den Sternbildern beeinflußt
(geprägt, modifiziert) würde. Stand sie im
Steinbock, war ihre Kraft schwach (Winter), stand sie
im Krebs oder im Löwen, war ihre Kraft groß
(Sommer). Stand sie im Widder, schien sie die Pflanzen
"wiederzuerwecken" und alles zum Blühen
zu bringen (im Frühling).
Wenn die Sonne durch die Sternbilder in ihrer "Wesensart"
verändert wurde: Vielleicht hatten ja auch die
Menschen, die in diesen Zeitabschnitten geboren wurden,
Eigenschaften, die eine gewisse Ähnlichkeit mit
diesen "Eigenarten" der Sonne hatten. - So
wurden nach und nach mit den Sternbildern bestimmte
Eigenheiten verbunden, und man stellte sich vor, daß
die Sternbilder die Menschen in ähnlicher Weise
"prägen" wie die Sonne.
Da die Babylonier den Himmel sehr gewissenhaft beobachteten,
fiel ihnen auf, daß die Sonne zu Sommeranfang
nicht in jedem Jahr an derselben Stelle des Sternbildes
Krebs stand. Der Unterschied war minimal: Er machte
in 100 Jahren nur etwas mehr als einen Grad aus. Es
war dennoch abzusehen, daß die Sonne zu Sommeranfang
in etwa 2.000 Jahren nicht mehr im Krebs stehen würde,
sondern, da die Verschiebung gegen die Tierkreisrichtung
stattfindet, im Sternbild Zwilling. Würde das
heißen, daß im Sommer dann nicht die längsten
Tage des Jahres waren? Wenn es die Sternbilder waren,
die der Sonne ihre Eigenart aufprägten, dann dürfte
sich der Sommeranfang im Laufe der Zeit immer weiter
vom längsten Tag des Jahres entfernen. Schließlich
würde der Sommeranfang in einigen Tausend Jahren
mit dem kürzesten Tag des Jahres zusammenfallen.
Dies erschien den Babyloniern unwahrscheinlich. Wenn
aber der Sommeranfang immer mit dem längsten Tag
des Jahres zusammenfallen sollte, würde das
bedeuten, daß die Sonne nicht durch die Sternbilder,
die sie im Jahreslauf passiert, geprägt wird,
denn in 2.000 Jahren stünde die Sonne zur Zeit
des längsten Tages des Jahres am Beginn des Sternbildes
Zwillinge.
Die Babylonier entwickelten daraufhin einen neuen Tierkreis,
den tropischen Tierkreis (den auf die Jahreszeiten
bezogenen Tierkreis), der auch in vielen Tausend Jahren
noch mit den "Eigenschaften" der Sonne zusammenpassen
würde.. Dieser tropische Tierkreis nahm (und
nimmt) seinen Anfang da, wo die Sonne zu Frühlingsbeginn
(dem Beginn des "natürlichen Jahreszeiten-Zyklus")
tatsächlich steht, und teilt den Jahreslauf der
Sonne in 12 gleiche Abschnitte von genau 30 Grad. Den
Punkt der Ekliptik, an dem die Sonne zu Frühlingsbeginn
steht, nennt man den Frühlingspunkt. Die Abschnitte
dieses Tierkreises heißen nicht mehr die Sternbilder
des Tierkreises (Tierkreis-Sternbilder) sondern die
Tierkreiszeichen, denn es sind ja keine Bilder mehr,
die diese Stationen kennzeichnen. Die Namen für
die 12 Tierkreiszeichen übernahm man aus dem Tierkreis
der Sternbilder, nicht zuletzt auch deshalb, weil sich
ja, wie gerade erklärt, die Tierkreiszeichen damals
räumlich in etwa mit den Sternbildern deckten.
In der Reihenfolge, in der sie von der Sonne durchlaufen
werden, heißen diese Tierkreiszeichen, wie den
meisten bekannt: Widder, Stier, Zwilling, Krebs, Löwe,
Jungfrau, Waage, Skorpion, Schütze, Steinbock,
Wassermann und Fische.
Daß es genau 12 Tierkreiszeichen sind, hat übrigens
seine Ursache vermutlich in den 12 Mondumläufen
eines Jahres. Jedem Tierkreiszeichen entspricht ein
Mondumlauf. Und unsere bürgerliche Zeitrechnung
teilt bis heute Tag und Nacht in 12 Stunden.
Halten wir also fest:
Astrologen arbeiten mit dem tropischen Tierkreis. Dieser
Tierkreis nimmt seinen Anfang da, wo die Sonne zu Frühlingsbeginn
steht, dem Frühlingspunkt. Er teilt die scheinbare
Bahn der Sonne am Himmel, die Ekliptik, in zwölf
gleich große Teile, die Tierkreiszeichen. Die
Tierkreiszeichen haben ihre Namen mit den ebenfalls
etwa in der Ebene der Ekliptik liegenden Sternbildern
des siderischen Tierkreises gemeinsam. Zur Zeit der
Babylonier, als der Beginn dieser beiden Tierkreise
in etwa zusammenlag, war (aus eben diesem Grunde) eine
Unterscheidung, welcher der beiden Tierkreise der tatsächlich
"wirksame" ist, nicht möglich. Seit
der Zeit der Griechen ist der tropische Tierkreis in
Gebrauch.
Entgegen der Ansicht der Kritiker, die zu Beginn dieses
Abschnitts vor-gestellt wurde, wissen Astrologen also
sehr wohl, daß die Sonne zu Früh-lingsbeginn,
wenn sie im Tierkreiszeichen Widder steht, nicht mehr
im Sternbild Widder steht. Umgekehrt wissen die Damen
und Herren Kritiker allerdings offensichtlich nichts
von den zwei verschiedenen Tierkreisen, mit denen die
Astrologen seit 2.000 Jahren arbeiten.
Da der Ort, an dem die Sonne zu Frühlingsbeginn
steht, langsam gegen die Bewegungsrichtung der Sonne
im Tierkreis (also gegen die Zählrichtung der
Tierkreiszeichen) wandert, verschiebt sich der tropische
Tierkreis (der seinen Anfang ja da nimmt, wo die Sonne
zu Frühlingsbeginn steht) langsam gegen den siderischen
Tierkreis. Man nennt diese Verschiebung Präzession,
und ich will nun erläutern, wie es dazu kommt.
Die Präzession
Betrachten wir uns dazu nocheinmal das Abbild 8. Wenn
sich die Erde im Abschnitt XII aufhält, dann weist
die Nordhalbkugel der Erde zur Sonne und auf der Nordhalbkugel
ist es Sommer. Das hatten wir festgestellt. Stellen
Sie sich nun einmal vor, die Schrägstellung der
Erdachse wäre nicht konstant, sondern die Erdachse
selbst würde schwanken. Stellen Sie in Gedanken
die Erdachse, die jetzt nach links geneigt ist, einfach
um die gleiche Gradzahl (die gleiche Schräge)
nach rechts. Offensichtlich wäre dann auf der
Nordhalbkugel Winter, wenn sich die Erde im Abschnitt
XII aufhält, Sommer dagegen wäre dann, wenn
sich die Erde im Abschnitt VI aufhält. Frühling
auf der Nordhalbkugel wäre entsprechend nicht
mehr, wenn sich die Erde in Abschnitt IX aufhält,
sondern dann, wenn sich die Erde im Abschnitt III aufhält.
Hinter der Sonne würde also zu Frühlingsbeginn
auch nicht mehr der Beginn der Sternbildes Widder,
sondern der Beginn des Sternbildes Waage zu sehen sein.
Und genau das macht unsere Erdachse: Sie schwankt. Genauer:
Wie ein Kinderkreisel, der langsam ausläuft, taumelt
unsere Erdachse, so daß sich die Schrägstellung
der Achse dauernd verändert, wenn auch nur sehr
langsam. Im Laufe von etwa 26.000 Jahren vollführt
unsere Erdachse eine vollständige "Taumeldrehung",
steht also nach 26.000 Jahren wieder in der gleichen
Schrägstellung (siehe Abbilder 13a,b,c).
Abbild 13a
Abbild 13b
Abbild 13c
Da von der Schrägstellung der Erdachse abhängt,
wo sich der Frühlingspunkt am Himmel befindet,
wandert mit der Taumeldrehung der Erdachse auch der
Frühlingspunkt im Laufe von ca. 26.000 Jahren
einmal durch den siderischen Tierkreis. Diese Zeit,
die der Frühlingspunkt benötigt, den Tierkreis
einmal ganz zu durchlaufen, nennt man ein Platonisches
Weltenjahr. Die Zeit, die der Frühlingspunkt benötigt,
um ein Sternbild des siderischen Tierkreises zu durchwandern,
nennt man ein Zeitalter. Da der Frühlingspunkt
derzeit vom Anfang des Sternbildes Fische rückwärts
in das Sternbild Wassermann hineinläuft, spricht
man heute vom beginnenden Wassermannzeitalter. Da die
Sternbilder, im Gegensatz zu den ideel bestimmten Tierkreiszeichen,
verschieden groß sind, haben die Zeitalter eine
unterschiedliche Länge.
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