Kapitel 4: Beispiel 2: Saturn
Saturn: Das Prinzip Integration
Während man im Mittelalter Jupiter "das große
Glück" nannte, fürchtete man Saturn
als "das große Übel" (Venus galt
übrigens als "das kleine Glück"
und Mars als "das kleine Übel").
Schmerz, körperliches oder seelisches Leid, Altern
und Sterben gehören in unserer Kultur zu Schattenseite
unserer Existenz, lösen Angst in uns aus. Wir
haben Leid und Tod zu unseren Feinden erklärt.
Im Kampf gegen diese Feinde geben wir jährlich
Milliarden aus, auf der Flucht vor diesen Feinden laufen
wir ihnen immer wieder in ihre offenen Arme.
Um diesen Feinden wirksam begegnen zu können, muß
man etwas über sie wissen. Also haben sich Menschen
immer wieder damit beschäftigt, die Ursachen menschlichen
Leids zu erkennen bzw. zu erforschen. Die Frage nach
Wesen und Ursachen menschlichen Leids wurde dabei in
den verschiedenen Epochen der menschlichen Geschichte
sehr verschieden beantwortet: Rache oder gar Willkür
der Götter, böse Geister, die Strafe des
einen Gottes für "unmoralisches Verhalten"
(d. h. für Verstöße gegen seine Gebote);
in östliche Kulturkreisen: Karma, in unserer Zeit
auf der einen Seite die Auffassung von einer funktionellen
Störung im chemischen Haushalt unseres Körpers,
die ggf. im Zusammenhang mit der Vererbung gesehen
werden muß, auf der anderen Seite Entwicklungsstörungen
in der frühen Kindheit (Psychoanalyse) oder aber
einfach mehr oder weniger "zufällig"
erfolgtes "falsches Lernen" (Verhaltenstherapie).
Aber auch das, was eigentlich als Leid anzusehen sei,
wurde zu verschiedenen Zeiten in unserer Geschichte
und wird immer noch in verschiedenen Kulturen, die
heute bestehen, verschieden bewertet: Denken wir an
die Stellung der Frau in den Ländern des Orients,
eine Stellung, die zu ertragen aus unserer Sicht Einschränkung,
Mangel an seelischen und sozialen Entfaltungsmöglichkeiten,
somit also seelisches Leid bedeutet. Denken wir an
das Fehlen von Liebe in der Ehe, das "Nebeneinanderherleben"
von Ehepaaren (wie sie es selbst oft nennen): Dieses
Fehlen von Liebe war in den reinen Zweck-Ehen des Mittelalters
eine Selbstverständlichkeit. Dort war es schließlich
noch üblich, daß die Eltern ihren Kindern
die Ehepartner aussuchten. Die "Liebesehe"
ist nämlich eine Erfindung bzw. eine Errungenschaft
der letzten zwei bis drei Jahrhunderte. Heute führt
die damals selbstverständliche Situation oft einen
oder beide Partner in die Sprechstunde eine Psychotherapeuten
oder eines Astrologen.
Wir sehen daran, wie stark die Erfahrung von Schmerz
oder Leid etwas zu tun hat mit unserer Haltung und
unseren Wertvorstellungen, wie stark das subjektive
Empfinden von Schmerz oder Leid auch davon abhängt,
welche Alternativen ich sehe, in gewissem Sinne also
abhängt von meinem Anspruchs-Niveau an Glück
und Schmerzfreiheit.
Ich sagte einleitend, daß Schmerz, körperliches
oder seelisches Leid Angst in uns auslösen. Und
das, so denke ich, muß auch so sein: Schmerz
wäre nicht Schmerz, wenn er nicht "weh tun"
würde, wenn er nicht unangenehm wäre, wenn
er also nicht ein Zustand wäre, auf den Mensch
und Tier gleichermaßen mit Maßnahmen reagieren,
die auf die Beendigung dieses Zustands hinzielen. Das
ist der biologische Sinn des Schmerzes: Er soll uns
vor Schaden bewahren. Er ist ein Alarmsignal, das uns
deutlich macht, daß unsere körperliche oder
aber unsere seelische Unversehrtheit bedroht ist.
Es braucht wenig Phantasie, sich auszumalen, welche
lebensgefährlichen Verletzungen wir uns täglich
zuziehen würden, wenn wir keinen Schmerz empfinden
könnten. Und es liegt auf der Hand, daß
der Schmerz seine Alarmfunktion nicht erfüllen
könnte, wenn wir auf Schmerz nicht "alarmiert"
und mit vehementen Vermeidungs-Reaktionen antworten
würden. Wenn sich Schmerz nicht so unangenehm
aufdringlich bemerkbar machen würde, würden
wir wohl in manchen Situationen aus Versehen oder weil
andere Dinge als unsere körperliche Unversehrheit
uns wichtiger erscheinen, unserem Körper erheblichen
Schaden zufügen. Ich bin sicher, daß die
Menschen z. B. nicht rauchen würden, wenn der
Schaden, den sie damit ihrem Körper zufügen,
sogleich durch Schmerz warnend gemeldet würde.
Im alten Griechenland wurde der Bote, der eine Nachricht
von einer verlorenen Schlacht überbrachte, häufig
getötet. Ähnlich verhalten wir uns, wenn
wir den Schmerz, den Überbringer der Botschaft,
den Melder einer Gefahr, als unseren Feind empfinden.
Der Schmerz ist, das kann man mit Fug und Recht sagen,
unser Freund. Er ist ein Freund, der uns dadurch "Gutes
tut", daß er so unangenehm wie möglich
ist. Sowohl der Schmerz als auch die Angst vor dem
Schmerz gehören funktional zusammen.
Dieses biologisch wie psychologisch lebensnotwendige,
lebenserhaltende Prinzip wird symbolisiert durch den
Planeten Saturn. Astrologen sind mit seinen Eigenheiten
viele Jahrhunderte hindurch ebenso umgegangen wie die
Griechen dem erwähnten Boten. Sie nannten ihn,
wie oben erwähnt, "Übeltäter",
weil er, schmerzhaft, auf Unordnung in unserem Körper
(und in unserer Seele) aufmerksam macht. Von den Reifungs-
oder Wachstumskrisen, in die wir durch diese Funktion
gestoßen werden, bemerkten sie nur den unangenehmen
Aspekt, den jede Krise hat (haben muß), sahen
in ihm eine Naturmacht, die Depressionen bringt und
Prüfungen auferlegt. Dieses Bild hat sich mittlerweile,
unter dem Einfluß der "psychologischen Astrologie"
(siehe Kapitel 1) sehr gewandelt, doch der Prozeß
der Neubewertung von Prinzipien wie Saturn ist bis
heute nicht abgeschlossen.
Das Prinzip "Integrität" meint die Impulse
in Organismen, die auf die Aufrechterhaltung der Unversehrtheit
(im umfassenden Sinn verstanden) des Organismus gerichtet
sind. Es geht also um das Prinzip Schutz. Unversehrtheit
(heil sein, ganz sein) verlangt nach Mechanismen, den
Organismus vor schädlichen Einflüssen der
Außenwelt (Kälte, Krankheitserreger) abgrenzen
zu können, ist auch mit der Erhaltung (dem Schutz)
der Form, speziell der äußeren Hülle,
die die inneren Organe birgt, verbunden. So ist Saturn
auch das formerhaltende, formgebende Prinzip, und dieses
wiederum ist gleichbedeutend damit, eine Grenze zwischen
innen und außen festzulegen.
Auf der körperlichen Ebene entspricht dem Saturn-Prinzip
z. B. der gleichermaßen Schutz gewährende
wie Form gebende Panzer der Schildkröte. Bei einem
Baum sind die Funktion der Formgebung und der Abgrenzung
getrennt: Die Baumrinde schützt vor (einigen)
äußeren Einflüssen, das Prinzip Formgebung
und Formerhaltung ist nach innen verlegt. Dies ist
auch beim Menschen der Fall: Die Haut ist zum einen
ein Saturn-Organ, der Baumrinde verwandt, gewährt
Schutz vor (einigen) äußeren Einflüssen.
Sie ist aber, als "multifunktionelles Organ"
auch ein Venus-Organ (Kontakt-Organ, Produktion von
"Duftstoffen" etc.). Die Formgebende Funktion
wurde nach innen verlegt (unser Skelett). Dies geschah
durchaus im Einklang mit dem Saturn-Prinzip Schutz:
Die Verlegung der Stütze nach innen ermöglicht
dem Menschen, dem seine körperliche Ausstattung
wenig Möglichkeiten bietet, Gefahren "abzuwehren",
flexibal Gefahren "auszuweichen". - Wie in
der Einleitung zu diesem Kapitel bereits erwähnt,
wird dem Saturn seit Alters her die Milz zugeordnet.
Wir wissen heute, daß in der Milz die Antikörper
gebildet werden, d. h. die Milz ist ein zentrales Organ
unseres Immunsystems, das uns von innen her vor Gefahren
(Krankheitserregern z. B.) schützt.
Auf der psychischen Ebene entspricht dem Saturn-Prinzip
der Schmerz (er ist ein gleichermaßen körperliches
wie psychisches Phänomen) und die Angst. Angst
und Schmerz sind Alarmsignale: sie machen uns auf eine
(innere oder äußere) Gefahr aufmerksam.
Angst macht vorsichtig. Der Orientierung an der Gefahr
entspricht als Seelenhaltung zudem der Ernst. Wenn
es um die Abwehr von Gefahren für den Organismus
geht, dann ist keine Zeit für Spiel oder Heiterkeit,
auch nicht für Ästhetik und Wohlbefinden:
es geht dann darum, daß das Notwendige getan
wird.
Es gibt sehr viele Gefahren, die ein einzelnes Individuum
nicht abwehren kann. Der Zusammenschluß mehrerer
Individuen einer Art zu einem Kollektiv erweitert die
Möglichkeiten, sich gegen äußere Gefahren
(Feinde etwa) zu schützen, beträchtlich.
So weckt die Saturn-Funktion den Impuls zur Bildung
solcher Kollektive in Organismen (Herdenbildung). Um
funktionsfähig zu sein benötigen solche Kollektive
eine bestimmte Struktur, bestimmte Regeln, damit sie
nicht durch die dauernde Notwendigkeit der Bewältigung
innerer Konflikte ihr eigentliches Ziel (einen größeren
Schutz gegen äußere Feinde zu bieten) verfehlen.
Die Saturn-Funktion in Organismen weckt die Bereitschaft,
sich an Gruppen-Normen anzupassen. Diese Funktion erzeugt
im Individuum eine archaische Angst vor dem Ausgestoßen-Sein
(weil dieses, wenn es radikal erfolgt, bei Mensch und
Tier gleichbedeutend ist mit dem eigenen Tod).
Diese Angst ist die Quelle dessen, was wir "Gewissen"
(besser: Schuldgefühl) nennen: Wenn wir die Gruppen-Normen
verletzen, droht die Gruppe uns mit Sanktionen. Die
Gruppe muß Individuen, die nicht in der Lage
sind, selbstbezogene Impulse den Gruppen-Normen unterzuordnen,
oder die aus anderen Gründen (etwa wegen einer
ansteckenden Krankheit) eine Gefahr für den Bestand
des ganzen Kollektivs darstellen, aus dem Kollektiv
ausschließen, wenn es nicht alle Mitglieder des
Kollektivs gefährden will.
Ein anderer Aspekt dessen, was wir umgangssprachlich
Gewissen nennen, gründet auf der Jupiter-Funktion:
Das "Jupiter-Gewissen" ist nicht der Ausdruck
von Schuld und Angst sondern Ausdruck der Unzufriedenheit,
den eigenen Idealen nicht gerecht zu werden, daß
ich mir letztlich mit dem, was ich da gerade tue, selbst
keinen guten Dienst erweise.
In der Sphäre des Geistigen symbolisiert Saturn
das Gedächtnis (allgemeiner: die gesammelte Erfahrung),
die Funktion des Speicherns von Informationen (Merkur
dagegen das Prinzip der Informationsverarbeitung: unterscheidendes
Wahrnehmen, logische Schlüsse ziehen, logische
Relationen herstellen). Erfahrungen sind nicht einfach
"Bilder", nicht einfach nur "Wahrgenommenes":
Mit Erfahrungen sind hier erlebte Abläufe gemeint,
das, was man in den Wissenschaften "empirische
gewonnene Fakten" nennt. Erlebte Abläufe
führen zur Bildung von Regeln, von (Natur-) Gesetzen.
Naturgesetze (durch Erfahrung gefundene Regelmäßigkeiten)
sind die Domäne des Saturn, Gesetze der Logik
die Domäne des Merkur.
Saturnbetonte Menschen sind durch eine natürliche
Akzeptanz (gesellschaftlicher) Normen gekennzeichnet.
Sie tragen gern Verantwortung, wobei hier ein anderer
Aspekt dessen gemeint ist, was wir umgangssprachlich
als Verantwortung bezeichnen, als wir es bei dem Sonnen-Prinzip
kennengelernt haben: Bei Saturn geht es nicht um Selbstmächtigkeit
sondern um Pflicht, verstanden als das Akzeptieren
der Ansprüche des Kollektivs an das Individuum.
Verantwortung im saturnischen Sinn hat damit zu tun,
jemandem (dem Kollektiv) Rechenschaft schuldig zu sein
für mein Tun. Sie bevorzugen die Einhaltung bestimmter
Formen im zwischenmenschlichen Verkehr und empfinden
solche Formen als eine Erleichterung (im Straßenverkehr
würde ohne die Einhaltung bestimmter Regeln ein
Chaos entstehen). Sie vertrauen der Erfahrung mehr
als spekulativen Entwürfen und verkörpern
daher ein konservatives Element.
Bei Überbetonung des Prinzips entsteht Pessimismus,
das Kleben an Formen erstickt jede Spontaneität,
Gerechtigkeit wird zur buchstabengetreuen Einhaltung
von Normen pervertiert. Wenn Abgrenzung aus Selbstschutz
und Einhaltung von Regeln dominierende Motive werden,
dann erkalten die Gefühle, aus Ernst wird Verbissenheit
(Alters-Starrsinn), aus Trauer Depression. Solche Menschen
isolieren sich selbst durch ihr Verhalten von anderen,
ihr Lebensfunke scheint gleichsam nur noch zu glimmen,
und die erstickte Vitalität führt zu Gebrechen
aller Art, deren einzige Ursache ist, daß der
Lebensimpuls nicht mehr frei fließt.
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